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ADHS im Erwachsenenalter ist unterdiagnostiziert

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) beginnt typischerweise in der Kindheit. Sie kann im Erwachsenenalter bestehen bleiben und Betroffene psychisch und sozial erheblich beeinträchtigen.

ADHS ist bei Erwachsenen mit vier Prozent Betroffenen eine häufige Störung – oft wird sie jedoch nicht diagnostiziert und bleibt unbehandelt. „Das Krankheitsbild ADHS ist bei Erwachsenen deutlich schwerer zu erkennen, weil die Symptome vielfältiger sein können und auch auf andere Störungen hindeuten, wie beispielsweise Persönlichkeitsstörungen, Angsterkrankungen, die bipolare Störung oder Abhängigkeitserkrankungen“, berichtet Prof. Dr. med. Dominique Eich-Höchli von der Schweizer Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP), die ihren Sitz in Bern hat. „Oft suchen Betroffene erst professionelle Hilfe, wenn sich zusätzliche Erkrankungen wie etwa eine Drogen- oder Alkoholabhängigkeit entwickelt haben und ein großer Leidensdruck entstanden ist. Dies erschwert nicht nur eine Therapie, sondern auch eine korrekte Diagnose.“ In vielen Fällen erkennen und verstehen erwachsene Betroffene ihr Leiden erst, wenn die Diagnose ADHS bei ihren Kindern gestellt wurde.

Symptome bei Erwachsenen anders als bei Kindern

Das hyperaktive Verhalten, das oft zentraler Bestandteil des kindlichen Krankheitsbildes ist, rückt mit zunehmendem Alter meist in den Hintergrund. „Bei Erwachsenen zeigt sich die Hyperaktivität eher durch innere Unruhe, Angespanntheit und Nervosität. Sie wirken oft ruhelos, können zu «Workaholics» werden oder sind unfähig, sich zu entspannen“, illustriert Prof. Eich-Höchli das Erkrankungsbild. Die Problematik im Bereich der Aufmerksamkeit betrifft Kinder und Erwachsene vergleichbar. Betroffene haben Konzentrationsstörungen, sind leicht ablenkbar, tun sich schwer, etwas zu planen und sich auf Dinge zu fokussieren. „Viele haben beispielsweise das Gefühl, sämtlichen Geräuschen ihrer Umgebung ausgeliefert zu sein. Aufgrund der leichten Ablenkbarkeit können sie sich nicht dauerhaft mit etwas auseinandersetzen. Sie wechseln Tätigkeiten, ohne etwas zu Ende zu bringen – auch weil ihnen Dinge als gleich wichtig erscheinen.“ Besonders problematisch stellt sich ihr unorganisierter Alltag im Berufsleben dar, doch auch im privaten Bereich haben sie damit zu kämpfen.

Die Impulsivität zeigt sich in unüberlegten Handlungen und Äußerungen, wenig Geduld, Gefühlsausbrüchen und auch gefährlichen Handlungen. „Erkrankte neigen dazu, in Gespräche hineinzuplatzen, dazwischen zu reden und schwallartig zu erzählen. Das kann vom Umfeld als unhöflich und störend empfunden werden. Doch auch Betroffene leiden unter dem Eindruck, zu viel zu reden“, so die Expertin. „Schwierigkeiten bei der Emotionsregulierung zeigen sich in abrupten Stimmungsschwankungen. Betroffene können ganz plötzlich traurig, ängstlich oder zornig reagieren und heftige Wutausbrüche haben. Dies kann für die Umwelt irritierend sein, wird aber auch von den Erkrankten als belastend empfunden.“

Man geht heute davon aus, dass diese häufig vererbbare Erkrankung vorwiegend durch neurobiologische Faktoren zu erklären ist, wobei ungünstige Umweltfaktoren - z.B. eine psychische Erkrankung der Eltern oder Spannungen im sozialen Umfeld - das Störungsbild negativ beeinflussen können. Ob ADHS-Betroffene behandelt werden sollten, hängt vom Grad der Beeinträchtigung und des subjektiven Leidens ab. „ADHS ist auch im Erwachsenenalter gut behandelbar. Eine frühzeitige, umfassende Behandlung, die eine Aufklärung über das Störungsbild, psychotherapeutische Verfahren und, wenn nötig, eine medikamentöse Unterstützung umfasst, kann im weiteren Verlauf die negativen Folgen vermeiden oder zumindest deutlich abschwächen“, rät Prof. Eich-Höchli.
Unerkannt und unbehandelt kann es mit zunehmender Erkrankungsdauer zu beruflichen Misserfolgen, aber auch zu Komorbiditäten wie Depressionen, Angst- und Persönlichkeitsstörungen und insbesondere Suchterkrankungen kommen.

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Quellen
Eich-Höchli, D; Eich, P (2004). Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung bei Erwachsenen. Trotz guter Behandlungsmöglichkeiten unterdiagnostiziert. Schweizer Zeitschrift für Psychiatrie & Neurologie, (2):17-21.

Eich-Höchli, D;Gamma A; Eich, P (2012). ADHS bei Erwachsenen – Der Leidensdruck bestimmt die Therapie. Schweizer Zeitschrift für Psychiatrie & Neurologie, (10), Nr.3

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