Symptome und Störungsbild bei Tic-Störungen/beim Tourette-Syndrom
Hauptsymptome der Tic-Störung sind motorische und vokale Tics, die sich in einfache und komplexe Tics unterteilen lassen. Motorische Tics sind unwillkürliche, abrupt einsetzende, nicht zweckgebundene Bewegungen. Ihre Art, Intensität und Häufigkeit kann über die Zeit variieren. Die Bewegungen laufen oft wiederholt in gleicher Weise ab, sind aber nicht rhythmisch, sie können einzeln oder in Serie auftreten. Am häufigsten sind sie im Bereich des Kopfes lokalisiert (Augenzwinkern, Blinzeln, Grimassieren, Kopfschütteln, Nicken) können aber auch die Rumpfmuskulatur und die Extremitäten betreffen.
Bei schwererer Ausprägung können komplexe (kombinierte) motorische Tics auftreten, bei denen mehrere Muskelgruppen beteiligt sind oder bei denen ganze Bewegungen ausgeführt werden, wie beispielsweise Hüpfen, Springen, Stampfen, Kreisen aber auch Beißen, Schlagen oder Kratzen etc.. Besondere Ausprägungen komplexer motorischer Tics sind die Kopropraxie und die Echopraxie.
Vokale (phonetische) Tics stellen sich durch das unwillkürliche Äußern von Lauten und Geräuschen dar, wie beispielsweise Räuspern, Schniefen, Hüsteln, Bellen ausgeprägten Atemgeräuschen etc.. Besondere Ausprägungen der komplexen vokalen Tics sind die Koprolalie, die Echolalie und die Palilalie, sowie Schreien, Summen oder Pfeifen.
Symptomatik der Tic-Störungen
[Tabelle]
Quelle: Fegert, Eggers, Resch (2012). Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Springer:Tic-Störungen und Tourette-Syndrom (S. 858, Tab. 29.1)
Die Ausprägung der Symptomatik ist ohne erkennbaren Grund über Tage, Wochen, Monate, Jahre schwankend. Daneben kann sie situationsabhängig variieren. Tics können sowohl mehrmals täglich in Serien auftreten als auch in einigen Fällen sogar über Wochen und Monate verschwinden, um dann ganz unvermutet wieder zum Vorschein zu kommen. Hinsichtlich Anzahl, Häufigkeit, Art und Lokalisation der Tics werden immer wieder periodische Wechsel beschrieben. Das trifft ebenso auf ein ständiges Zu- und Abnehmen des Schweregrades zu.
Belastende oder aufregende Situationen können u. U. die Tics in Frequenz und Ausprägung verstärken. In Phasen der Entspannung - z.B. zuhause, am Abend - können Tics bei manchen Kindern und Jugendlichen gehäuft auftreten. Tic-Störungen scheinen darüber hinaus bei manchen Betroffenen auch die Schlafeffektivität zu beeinflussen. Im Gegensatz zu anderen Bewegungsstörungen, geht Tics häufig ein „Vorgefühl“ voraus, das mit zunehmendem Lebensalter wahrgenommen wird. Dem Großteil der Patienten ist es insbesondere im Erwachsenenalter möglich, die Tics zumindest zeitweilig willentlich zu unterdrücken.
Kinder mit Tic-Störungen zeigen häufig Verhaltensauffälligkeiten, die sich auf die Bereiche gesteigerte Impulsivität, Hyperaktivität und Ablenkbarkeit beziehen. Eine geringe Frustrationstoleranz sowie Zwänge, Ängste und depressive Episoden treten ebenfalls gehäuft bei Tic-Störungen auf und erfordern eine gesonderte Abklärung. Auch kommen Lernprobleme bei chronischen Tic-Störungen gehäuft vor.
Tourette-Syndrom
Das Tourette-Syndrom ist eine Form der Tic-Störungen, bei der es gegenwärtig oder in der Vergangenheit multiple motorische Tics und einen oder mehrere vokale Tics gibt oder gegeben hat, wobei diese nicht notwendigerweise gleichzeitig aufgetreten sein müssen. Hierunter fallen auch Tic-Störungen, die mehrmals täglich, ohne Rückbildung (Remission) über die Dauer von mindestens 12 Monaten auftreten und sich vor dem 18. Lebensjahr entwickelt haben. Die vokalen Tics sind beim TS oft multipel mit explosiven repetitiven Lautäußerungen, wie Räuspern, Grunzen und dem Gebrauch von obszönen Wörtern oder Phrasen. Manchmal besteht eine begleitende gestische Echopraxie, bzw. können die Gesten auch obszöner Natur sein (Kopropraxie).
Das Tourette-Syndrom geht beim Großteil der Betroffenen mit weiteren Störungen (Komorbidität) einher, wie z.B. ADHS, Zwangsstörungen, Affektiven Störungen oder Angststörungen. Nur etwa 10 bis 20 Prozent der Kinder mit Tourette-Syndrom weisen keine weitere andere Störung auf.
Kinder mit Tourette-Syndrom neigen zu aggressivem Verhalten mit plötzlichen Wutausbrüchen, ältere Jugendliche zeigen überdurchschnittlich häufig Selbstverletzendes Verhalten (SVV).
Auch wenn die muskulären Spannungsgefühlen vor einer „Tic-Entladung" und die Tic-Ausführung an sich meist keine körperlichen Schmerzen hervorrufen, leiden die Betroffenen meist sehr unter den nicht oder nur bedingt kontrollierbaren Symptomen. Häufig werden die Kinder und Jugendlichen aufgrund der ungewöhnlichen Symptome von anderen gemieden und ausgegrenzt. Erwachsene empfinden - zumeist aufgrund mangelnder Kenntnis des Störungsbildes - den jungen Patienten als Störenfried und stempeln ihn als schlecht erzogen ab. Sie entwickeln manchmal ein geringes Selbstwertgefühl und neigen zu Depressionen und Angstsymptomen.