Tics sind kurze, wiederholte, nicht rhythmische Bewegungen oder Lautäußerungen, die plötzlich einsetzen, keinem Zweck dienen und als bedeutungslos erlebt werden. Sie können einzeln, aber auch in Serien auftreten, vorübergehend sein aber auch chronisch verlaufen. Oft entwickeln sich Tic-Störungen mit einfachen Bewegungen wie Augenzwinkern oder Grimassieren sowie Kopfbewegungen, daneben sind auch Lautäußerungen wie Hüsteln, Schniefen oder Räuspern möglich. „Tics, die im Grundschulalter auftretenden, sind oft nur gering ausgeprägt und nicht beeinträchtigend. Auch gehen sie meist vorüber, so dass sie im engeren Sinn keinen Krankheitswert haben“, berichtet Dr. Ingo Ingo Spitczok von Brisinski vom Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland (BKJPP) mit Sitz in Mainz. „Wichtig ist jedoch, dass es Eltern und Lehrern klar ist, dass es sich bei den Verhaltensweisen um eine Tic-Störung handelt und nicht etwa um ein provozierendes Verhalten des Kindes. Die unwillkürlichen Bewegungen oder Lautäußerungen werden von den betroffenen Kindern oft selbst gar nicht bemerkt und sind willentlich in diesem Alter nur schwer beeinflussbar. Die korrekte Diagnose ist daher wichtig, um Vorurteilen und Hänseleien sowie Fehlbehandlungen zu vermeiden.“
Auch komplexe Bewegungen und ganze Sätze möglich
Neben einfachen Tics, die meist im Bereich von Gesicht und Kopf lokalisiert sind, können auch komplexe Bewegungsabläufe Teil des Störungsbildes sein, an denen mehrere Muskelgruppen beteiligt sind. „Typische komplexe motorische Tics bestehen beispielsweise in Form von Berührungstics, Kniebeugen, Liegestützen bestimmten Schrittfolgen oder dem Drang, sich flach hinzulegen“, ergänzt der Kinder- und Jugendpsychiater. „Komplexe Vokaltics können sich durch Wiederholung von sinnlosen Begriffen, durch Pfeifen oder Summen äußern. In seltenen Fällen kommt es zum Ausstoßen von vulgären Ausdrücken oder Obzönitäten.“ Zwischen dem Auftreten erster Tics und der Diagnose vergehen unter Umständen mehrere Jahre. Das Tourette-Syndrom ist durch das Auftreten von motorischen Tics und Lautäußerungen gekennzeichnet und hält gewöhnlich mehrere Jahre an, auch wenn es zwischendurch zum Verschwinden der Symptomatik kommen kann.
Tics können mehr oder weniger gut unterdrückt werden
Im Vorfeld eines Tics nehmen Betroffene teils ein Gefühl war, anhand dessen sie erkennen können, dass ein bestimmter Tic auftreten wird. Dieses Vorgefühl lässt nach dem Eintreten des Tics vorübergehend nach. Oft können die Tics willentlich unterdrückt werden – wenn auch meist nur kurzfristig. „Die Möglichkeit, Tics zu unterdrücken, bewegt sich in einer großen Bandbreite. Dieses Vermögen ist individuell recht unterschiedlich und bei Kindern geringer ausgeprägt als bei Erwachsenen“, fügt Dr. Spitczok von Brisinski hinzu. „Bei einer schnellen Ticfrequenz können diese unter Umständen nur für wenige Sekunden unterdrückt werden, manchmal aber auch für Stunden. Oft entladen sich die zuvor unterdrückten Tics dann in unbeobachteten Momenten oder am Abend, wenn eine Entspannungssituation auftritt.“
Überdauern Tics mehr als zwölf Monate, gelten sie als chronisch. Die Notwendigkeit einer Behandlung ist von der Ausprägung der Tics und dem damit verbundenen Leidensdruck abhängig. Neben Psychoedukation können medikamentöse Behandlung und Verhaltenstherapie hilfreich sein.
Weil Ticstörungen mit anderen psychischen Erkrankungen - wie unter anderem ADHS, Zwängen, Ängsten oder auch Depressionen – einhergehen können, ist eine Abklärung durch einen Kinder- und Jugendpsychiater wichtig – insbesondere, wenn zusätzliche Auffälligkeiten hinzukommen.
Vorübergehende, leichter ausgeprägte Tics treten bei bis zu 15% der Grundschulkinder auf. Etwa ein Prozent aller Kinder ist vom Tourette-Syndrom betroffen, wobei sehr unterschiedliche Schweregrade vorliegen können.
Quelle: Ludolph, Andrea G.; Roessner, Veit; Münchau, Alexander; Müller-Vahl, Kirsten. Tourette-Syndrom und andere Tic-Störungen in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(48): 821-8; DOI: 10.3238/arztebl.2012.0821