Treten Kinder aggressiv auf, ist es zunächst wichtig, die Ursachen aufzudecken, die sehr vielfältig sein können. „Bei Aggression im frühen Kindesalter ist es wichtig, auch mögliche körperliche Störungen zu beachten und abklären zu lassen, weil daran zunächst oft nicht gedacht wird. In diesem Alter entwickelt sich die Sprache und ermöglicht es Kindern ein Stück weit, ihre Aggressionen zu äußern und auch zu steuern. Kinder mit eingeschränkter Sprachentwicklung oder organischen Beeinträchtigungen beim Sprechen haben dann nur begrenzte Möglichkeiten, ihren Aggressionen über die Sprache Ausdruck zu verleihen und neigen dann eher zu offener, direkter Gewalt. Treten Kleinkinder wiederholt aggressiv auf, müssen daher auch organische und neuropsychologische Auffälligkeiten abgeklärt werden“ rät Dr. med. Oliver Bilke-Hentsch von der Schweizerischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (SGKJPP) mit Sitz in Bern. Auch Störungen der Wahrnehmung - sei es durch eine beeinträchtigte Sehkraft oder ein beeinträchtigtes Hörvermögen - können es Kleinkindern erschweren, ihre Aggressionen über die Sprache zu steuern. Die Ursachen für aggressives Verhalten sind vielfältig, Erziehungsverhalten, Umweltfaktoren sowie bestimmte Eigenschaften eines Kindes gelten als Hauptursachen.
Trotzverhalten und Angstfreiheit können problematische Entwicklung andeuten
Dissoziales und aggressives Verhalten kommt bei einer großen Zahl von Kindern im Verlauf ihrer Entwicklung vor. Einem kleinen Teil dieser Kinder gelingt es im Laufe ihrer Entwicklung nicht oder nur unzureichend, ihre aggressiven und antisozialen Impulse zu kontrollieren. Bestimmte Anzeichen bei jüngeren Kindern können auf ein späteres hohes Gewaltpotential hindeuten, da sie bei ausgesprochen aggressiven und straffälligen Jugendlichen bereits im Kindergartenalter beobachtet werden. „Betroffene Kinder zeichnen sich bereits im frühen Alter als distanziert sowie emotional kühl aus und haben kaum Einfühlungsvermögen und Mitgefühl für andere. Zudem zeigen sie typischerweise schwerstes Trotzverhalten, lassen sich kaum in Gruppen integrieren und versuchen bereits im Grundschulalter ihre Bedürfnisse mit körperlicher Gewalt durchzusetzen“, schildert der Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. „Eine weitere Auffälligkeit solcher Kinder ist ein scheinbar unangemessen furchtloses Verhalten in tatsächlich gefährlichen Situationen. Dort erscheinen sie völlig angstfrei.“ Weitere Hinweise für eine problematische Verhaltensstörung, die sich bereits bis zu einem Alter von vier bis fünf Jahren abzeichnen können, sind eigentümliches Tierquälen oder auch ein erschwertes Lernen auf Strafe.
Frühe Hinweise bieten Chance auf frühe Hilfestellung
Bereits in einem sehr frühen Lebensalter wie dem sechsten oder siebten Lebensjahr ist es möglich, mit einer hohen Vorhersagewahrscheinlichkeit die Entwicklung eines Kindes im aggressiven oder destruktiven Verhaltensbereich über 20 Jahre vorherzusagen. Werden Auffälligkeiten zu einem frühen Zeitpunkt erkannt und richtig diagnostiziert, eröffnet dies die Chance, frühzeitig aktiv zu werden und die Entwicklung betroffener Kinder positiv zu beeinflussen. „Aggressives Verhalten tritt selten isoliert auf. Meist geht es mit vielen anderen Problemen und begleitenden Störungen wie beispielsweise hyperaktivem Verhalten einer. Ein Teil der betroffenen Kinder leidet unter Selbstwertproblemen, Ablehnung sowie Ängsten und Depressivität, weil sie nur eingeschränkt dazu in der Lage sind, sich aus ihrer Aggression und negativen Reaktionen zu befreien“, erklärt der Experte. „Eltern sollten sich bei entsprechenden Auffälligkeiten an einen Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeuten wenden. Es existiert ein breites Spektrum an Möglichkeiten, aggressives Verhalten im Kindes- und Jugendalter zu reduzieren oder zu verhindern. Möglich ist dies unter anderem indem man betroffene Kinder dabei unterstützt, alternative Verhaltensweisen zu erlernen, ihre aggressiven und antisozialen Impulse zu kontrollieren, ihre soziale Kompetenz zu stärken sowie begleitende Störungen zu behandeln. Dabei werden auch die Eltern in therapeutische Programme miteinbezogen, um ihre Fähigkeiten zur Anleitung der Kinder zu verbessern und die Eltern-Kind-Bindung zu stärken.“ Durch eine möglichst frühzeitige und umfassende Intervention ist es möglich, auch schwierige Fälle auf den richtigen Weg zu bringen.
Quellen:
- O. Bilke-Hentsch, M. Nielsen, Aggressivität und Impulsivität aus entwicklungspsychiatrischer Sicht In: Preuß, Ulrich; Freisberg, Regina (Ed.), Störungen des Sozialverhaltens und Dissozialität. Entwicklungspsychologie, pädagogische Konzepte, Delinquenz, Begutachtung (S. 48-54). Berlin: MWV Medizinisch-Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2014, ISBN: 978-3-941468-55-9
- Leitlinie "Störungen des Sozialverhaltens (http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-020.html)
- Lioba Baving, Störungen des Sozialverhaltens, 2006, Springer-Verlag GmbH
Weitere Informationen:
Website: www.kinderpsychiater-im-netz.org
Am 29. August 2015 findet der Jahreskongress der SGKJPP in Bern statt:
www.sgkjpp.ch/weiter-fortbildung/kongresse/sgkjpp-kongress/
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