Menschen, die Angst davor haben, übermäßig zu erröten, leiden unter einer sog. Erythrophobie. Wie viele Menschen davon betroffen sind, ist unbekannt, wobei soziale Phobien in der Bevölkerung generell häufig auftreten: Bis zu 13 Prozent der Menschen haben hierzulande mindestens einmal in ihrem Leben mit einer sozialen Phobie zu kämpfen. „Eigentlich ist nicht das Erröten an sich das Problem, sondern die eigene Bewertung des Errötens und die damit verbundenen sozialen Ängste“, erläutert Dr. Ingo Spitczok von Brisinski vom Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BKJPP). Insbesondere auch der eigene Kontrollverlust bereitet den Betroffenen Angst: Sie erröten und können nichts dagegen tun. Und wer rot wird, entblößt seine Unsicherheit, so dass andere möglicherweise sehen können, wie nervös und ängstlich man ist. Man kann sich so nicht mehr hinter einer coolen Fassade verstecken und muss befürchten, sich wegen des knallroten Kopfes zu blamieren und zum Gespött der Leute zu machen.
Gehänselt Werden kann den Teufelskreis verfestigen
„Auslöser ist oft ein unangenehmes Erlebnis in der Kindheit oder Jugend, das im Gehirn als negativ abgespeichert wird. Insbesondere wenn Betroffene dann zusätzlich von Gleichaltrigen gehänselt oder gemobbt werden, wenn sie rot werden, kann sich aus der Angst vor der Angst ein Teufelskreis entwickeln“, erklärt Dr. Spitczok von Brisinski. Dann empfinden Betroffene allein schon die Vorstellung davon, dass das eigene Erröten völlig unkontrollierbar vor anderen Leuten auftreten und dann belächelt werden könnte, als höchst peinlich, beschämend und demütigend. Wenn sie daraufhin versuchen, ähnliche Situationen zu vermeiden, kann sich - wie bei jeder Phobie - die Angst verfestigen.
Der Körper versucht durch immer mehr Erröten abzukühlen
Das Erröten entsteht aus einem Schamgefühl heraus. Die damit verbundene emotionale Erregung und die Angst vor dem Erröten versetzen den Körper in eine Art Alarmbereitschaft. Die dabei ausgeschütteten Stresshormone sollen den Organismus mobilisieren, auch die Körpertemperatur wird hoch gefahren - Betroffene, haben oft das Gefühl, als ob ihr Kopf zu glühen beginnt. Um sich wieder abzukühlen, stellt der Körper die Blutgefäße weit, sodass Blut vermehrt durch die Adern in der Peripherie strömt, was u.a. auch zum Erröten des Gesichtes führt. Manche Betroffene beginnen gleichzeitig zu schwitzen - auch das dient rein physiologisch gesehen der Abkühlung. Der Teufelskreis entsteht durch die eigene negative Bewertung des Errötens und die Erwartungshaltung, dass sich die Situation nun katastrophal zuspitzen wird. Dadurch wird die Alarmbereitschaft aber fatalerweise aufrechterhalten und der Körper wird weiter erhitzt, während der oder die Betroffene verzweifelt versucht, sich durch immer mehr Erröten abzukühlen.
Entwarnung Signalisieren hilft
Zum Glück lässt Erythrophobie sich gut behandeln. Das Ziel für die Betroffenen besteht darin, zu erkennen, dass Erröten nichts Außergewöhnliches ist, und sich selbst so anzunehmen, wie sie nun einmal sind. „Empfehlenswert ist, dem Körper in emotional und physisch angespannten Situationen bewusst Entwarnung zu signalisieren - zum Beispiel durch die Anwendung bestimmter Entspannungstechniken wie progressiver Muskelentspannung oder Meditation, sowie mithilfe von Sport“, rät Dr. Spitczok von Brisinski. Hilfreich ist es auch, achtsam tief und ruhig zu atmen. Erythrophobiker, die sich vorrangig auf die Hitze in ihrem Gesicht und auf die Frage fokussieren, wie rot sie bereits werden, können lernen, ihre Aufmerksamkeit willentlich auf etwas anderes zu lenken – z.B. durch Konzentrationsübungen. Manchmal kann auch ein Scherz oder eine Bemerkung wie „Das ist mir jetzt aber peinlich“ die Situation auflockern. Was hingegen gar nichts bringt, ist der feste Vorsatz, auf keinen Fall zu erröten. Denn damit würde man nur genau das Gegenteil erreichen.
Erröten kann auch Sympathiepunkte bringen
Wenn die Angst vor dem Erröten das Leben deutlich einschränkt, wenn z. B. soziale Kontakte zunehmend gemieden werden und Betroffene sich zurückziehen, sollte eine Verhaltenstherapie in Erwägung gezogen werden. Nach Meinung von Experten ist es auch dabei zentral, die Situation nicht dramatischer darzustellen, als sie tatsächlich ist. Zum Trost der Betroffenen kann zum Beispiel festgestellt werden, dass viele Menschen etwas Röte im Gesicht von anderen oft kaum wahrnehmen. Und wenn sie es doch bemerken sollten, vergeben sie oft sogar Sympathiepunkte, da das Erröten auf sie authentisch und unverstellt wirkt und Empathie auslöst. Zumal Rotwerden viele auch von sich selbst gut kennen, wenn sie ungewollt im Mittelpunkt stehen – und diese Reaktion ja ganz normal ist. Außerdem bleibt der Kopf zum Glück niemals stundenlang errötet, sondern maximal nur zehn Minuten, wobei sich die Angelegenheit oft schon nach höchstens fünf Minuten erledigt hat.
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