Schüler, die - mit oder ohne Entschuldigung - dem Unterricht häufig fernbleiben, sind mit rund 16 Prozent doppelt so oft von Mobbing betroffen wie ihre Mitschüler. Dies zeigen erste Auswertungen einer Studie des Universitätsklinikums Heidelberg, die 2.700 Schüler einbezieht. Sie liefert - erstmals in Deutschland - umfangreiche Daten zu den Fragen, wie häufig und aus welchen Gründen Schüler nicht zur Schule gehen: 53 Prozent der Jugendlichen bleiben 2 bis 10 Tage pro Monat dem Unterricht entschuldigt fern, 6 Prozent mehr als 10 Tage. Unentschuldigt fehlen rund 17 Prozent der Schüler pro Monat 1 bis 4 Tage, 4 Prozent mehr als 5 Tage. Die Forscher fanden außerdem: Ob entschuldigt oder nicht – häufiges Fehlen geht einher mit psychischen Problemen wie sozialer Angst oder Depression. „Uns hat vor allem überrascht, wie häufig Schüler mit Entschuldigung dem Unterricht fern bleiben“, sagt Professor Dr. Romuald Brunner. Rund 60 Prozent der Schüler zeigte hier riskante Fehlzeiten von 2 bis 10 Tagen bzw. sogar auffällig hohe Fehlzeiten von mehr als 10 Tagen pro Monat. „Wir konnten außerdem zeigen, dass häufiges Fehlen einhergeht mit einem gestörten Sozialverhalten und zum Teil auch mit Depression.“ So gaben betroffene Schüler z.B. an, sich wertlos zu fühlen, Interesse an Mitmenschen verloren zu haben oder leicht reizbar zu sein. Ein weiteres auffälliges Ergebnis: Während acht Prozent der Mädchen, die nie unentschuldigt fehlen, von Mobbingerfahrungen berichten, sind es bei den häufig unentschuldigt fehlenden Schülerinnen mit 16 Prozent doppelt so viele. Bei häufigem Fehlen mit Entschuldigung sind die Auswirkungen auf die Jungen besonders ausgeprägt: Rund 17 Prozent sind von Mobbing betroffen, bei den unauffälligen Schülern nur 6,5 Prozent. „Schulfehlzeiten sind eine gesellschaftliche, bildungspolitische und medizinische Herausforderung“, sagt Studienarzt Dr. Christoph Lenzen. „Schüler mit häufigen Fehlzeiten machen sich meist keine schöne Zeit außerhalb der Schule, wie oft vermutet wird.“ Er beobachte bei Betroffenen in der Klinik oft psychosomatische Beschwerden wie Schwindel, Bauschmerzen und Übelkeit. „Psychische Probleme wie Angst, Depression und Aufmerksamkeitsstörungen oder soziale Probleme wie Mobbing müssen frühzeitig erkannt und behandelt werden.“ Neben geeigneten Präventionsprogrammen für Schüler sei auch eine bessere Vernetzung von Schulen, Eltern und Behörden, Ärzten, Kliniken und weiteren Anlaufstellen dazu notwendig. „Oft wissen Eltern gar nicht, dass ihr Kind in der Schule fehlt oder die Schule wird nicht informiert, wenn das Kind zuhause bleibt.“ Außerdem müsse die Frage an Eltern und Ärzte erlaubt sein, warum Schüler so häufig mit Entschuldigung fehlen. Auf Seiten der Schüler sieht Dr. Christoph Lenzen eine hohe Bereitschaft, sich mit den Themen Schulfehlzeiten und seelische Gesundheit zu beschäftigen. „Wir bekommen viele positive Rückmeldungen.“ Viele Schüler nutzen außerdem die Möglichkeit, im Rahmen der Studie Kontakt zu einem Experten aufbauen zu können.Brauchbare Daten zu Schulfehlzeiten gibt es kaum. Um diese Informationslücke zu schließen, haben die Heidelberger Wissenschaftler im Oktober 2011 ihre Studie an Hauptschulen, Werkrealschulen, Realschulen und Gymnasien gestartet. 2.700 Schüler der 8. und 9. Klassen haben – freiwillig und mit Einverständnis ihrer Eltern - zuerst einen ausführlichen Fragebogen beantwortet. Neben den reinen Schulfehlzeiten beantworteten die Schüler auch Fragen zu Themen wie Angst, Depressivität, Sozialverhalten und Mobbing. Auffällige Schüler wurden von den Experten der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie beraten. Weiter Studien sollen klären, welche Präventionsprogramme dazu beitragen können, Schulfehlzeiten zu vermeiden.Die Heidelberger Studie unter Leitung von Professor Dr. Romuald Brunner, Leitender Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, ist der deutsche Beitrag zu der von der Europäischen Union geförderten Studie „Working in Europe to Stop Truancy Amoung Youth (WE-STAY)“: In fünf europäischen Ländern und Israel werden aktuell rund 10.000 Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren untersucht. Auch Eltern und Lehrer werden einbezogen. Ziel ist es, das gesellschaftliche Problem Schulfehlzeiten zu erfassen und zu ermitteln, welche Präventionsprogramme hilfreich sind. Heidelberg erhält für die Studie 270.000 Euro an Fördermitteln.Quelle: Informationsdienst Wissenschaft