Beteiligen sich Kinder oder Jugendliche wenig am Schulunterricht, muss dies kein Zeichen von Desinteresse oder fehlender Motivation sein, sondern kann im Rahmen einer Angststörung vor sozialen Situationen auftreten. „Der Schulunterricht kann für Kinder und Jugendliche mit einer sozialen Phobie eine enorme Belastung darstellen, denn sie fürchten Situationen, in denen sie glauben, einer prüfenden Betrachtung durch andere ausgesetzt zu sein und deren Erwartungen nicht zu erfüllen. Dahinter steht die ausgeprägte Sorge der Kinder, sich zu blamieren, weil sie sich ängstlich, ungeschickt oder peinlich zu benehmen glauben“, erklärt Dr. Ingo Spitczok von Brisinski vom Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BKJPP). „Betroffenen fällt es schwer, vor anderen Kindern und Lehrern frei zu sprechen und unbefangen zu agieren. Daher melden sie sich beispielsweise selten von sich aus, haben Probleme bei mündlichen Abfragen, beim Lösen einer Aufgabe an der Tafel oder beim Halten eines Referates.“ Die mündlichen Leistungen können darunter sehr leiden, aber auch die gesamte schulische Laufbahn, da auch der Selbstwert und die Motivation unter der Erkrankung leiden.
Soziale Ängste rufen in den jeweiligen Situationen belastende körperliche und gedankliche Begleiterscheinungen hervor, die auch noch eine Zeit lang der Angstreaktion andauern können. „Neben Beschwerden wie Herzklopfen, Zittern, Schwitzen, Schwindel, Übelkeit oder Atemnot fürchten auch manche, erbrechen zu müssen. Diese Symptome machen es für manche Kinder unmöglich, sich auf Aufgaben zu konzentrieren und Fragen adäquat zu beantworten“, illustriert der Experte. Eltern und Lehrer sollten daher genauer hinterfragen, wodurch Zurückhaltung oder Versagen in mündlichen Prüfungen in der Schule zustande kommt und ob dies möglicherweise Ausdruck einer sozialen Angststörung ist, die therapeutisch behandelt werden sollte.
Je nach individueller Ausprägung kann die gesamte Lebensgestaltung durch eine soziale Angsterkrankung beeinflusst werden. Die Angst vor Fehlbarkeit und Ablehnung kann ein Vermeidungsverhalten fördern, das auch soziale Aktivitäten außerhalb der Schule betrifft. „Wenn Eltern den Verdacht haben, dass Schüchternheit bei ihrem Kind sehr ausgeprägt ist und das Kind darunter leidet, sollten sie unbedingt einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie konsultieren. Je früher eine Behandlung erfolgt, desto eher besteht die Chance, die schädlichen Wirkungen einer unkontrollierten Sozialangst zu vermindern“, betont Dr. Spitczok von Brisinski. Angststörungen sind im Kindes- und Jugendalter gut behandelbar.
Charakteristisch für sozial ängstliche Kinder und Jugendliche ist ein niedriges Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik. Im Kontakt mit unvertrauten Personen reden sie meist nur wenig, tun dies oft leise und undeutlich, meiden dabei den Blickkontakt und wirken verlegen. Kleinere Kinder mit einer sozialen Angststörung weinen, schreien oder verstecken sich auch. Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Krankheitsbildern bei Kindern und Jugendlichen – über fünf Prozent leiden darunter.
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