„Die Fähigkeit zu schmecken ist für die Nahrungsauswahl und das Entstehen von Nahrungsvorlieben entscheidend. Dabei kann eine gestörte Wahrnehmung oder Bewertung des Geschmacks ein gestörtes Essverhalten fördern, das wiederum eine Fehl- oder Überernährung begünstigt“, erklärt Ohla, die am DIfE die Nachwuchsgruppe Psychophysiologie der Nahrungswahrnehmung leitet. „Unser Ziel ist es, dazu beizutragen, die an der Geschmackswahrnehmung beteiligten neuronalen Abläufe im menschlichen Gehirn besser zu verstehen, um Ansätze für neue Strategien zu entwickeln, die einem ungesunden Ernährungsverhalten entgegenwirken“, ergänzt Psychologe Busch.
Das Repertoire der menschlichen Wahrnehmung umfasst mindestens fünf Geschmacksqualitäten: salzig, süß, umami, sauer und bitter. Sobald ein Geschmacksstoff an einen Geschmacksrezeptor im Mund bindet und diesen aktiviert, leitet er ein Signal über Nervenbahnen an das Gehirn weiter. Dabei ist jedem Rezeptor jeweils eine der fünf Geschmacksqualitäten zugeordnet. Bislang war weitgehend unbekannt, wie das menschliche zentrale Nervensystem diese Signale aus der Peripherie verarbeitet und wie es die Grundgeschmacksarten kodiert. Um diese Frage zu beantworten, haben die Forscher mittels Elektroenzephalografie (EEG) Hirnströme gemessen - winzige elektrische Signale, die von Milliarden von Nervenzellen des menschlichen Großhirns produziert werden. Die Hypothese war, dass die verschiedenen Geschmacksrichtungen im Gehirn durch unverwechselbare neuronale Aktivitätsmuster mit einer charakteristischen räumlichen Verteilung repräsentiert werden. Wie die Wissenschaftler nun zeigen, erzeugen die Geschmacksqualitäten bereits etwa 175 Millisekunden nach einem entsprechenden Geschmacksreiz, geschmacksspezifische Aktivitätsmuster. Demnach lösen Geschmacksreize im Gehirn sehr viel schneller eine Antwort aus, als ursprünglich angenommen. Zudem konnten die Forscher ein Computerprogramm darauf trainieren, diese Muster zu erkennen und vorherzusagen, welche Geschmackslösung ein Studienteilnehmer gerade verkostet.
Diese Form des "Gedankenlesens" funktionierte so zuverlässig, dass die Forscher sogar die subjektive Wahrnehmung der Probanden vorhersagen konnten: Geschmacksrichtungen, die von den Probanden häufig verwechselt wurden (z. B. salzig und sauer) waren auch für das Computerprogramm schwierig zu differenzieren. Dieses Ergebnis legt nahe, dass die Forscher in dieser Analyse tatsächlich den Code dechiffrieren konnten, in dem das menschliche Großhirn subjektives Geschmacksempfinden speichert. „Unsere Ergebnisse geben erstmals einen tiefen Einblick in den zeitlichen Ablauf der Geschmackssignalverarbeitung im Gehirn. Zudem zeigen sie, wie das menschliche zentrale Nervensystem die Signale der Grundgeschmacksarten verarbeitet und dass die Art der im Gehirn entstandenen neuronalen Aktivitätsmuster erkennen lässt, was ein Studienteilnehmer schmeckt“, sagt Kathrin Ohla. „Zukünftig wollen wir untersuchen, inwieweit Aktivierungsmuster Aussagen darüber erlauben, wie appetitlich Probanden einen Geschmacksreiz finden. Die Ergebnisse können uns helfen, individuelle Geschmacksvorlieben zu entschlüsseln und sind damit auch für klinische Anwendungen relevant“, so die Wissenschaftlerin weiter.
Quelle: Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke