Neue Einblicke in die Entstehung von Angsterkrankungen haben Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) gemeinsam mit schwedischen Kollegen gewonnen. Wie die Forscher um den Neurowissenschaftler Dr. Jan Haaker in der aktuellen Ausgabe des internationalen Fachmagazins Nature Communications berichten, konnten sie erstmals zeigen, dass körpereigene Schmerzmittel, so genannte endogene Opioide, eine Rolle spielen, wenn Menschen allein durch Beobachten vom Schmerz Anderer lernen.
Soziales Lernen spielt bei Angststörungen eine Rolle
„Wenn wir die beteiligten Substanzen identifizieren können, die das soziale Lernen von Angstreaktionen regulieren, können wir in Zukunft vielleicht bessere Behandlungsmethoden entwickeln“, sagt Dr. Jan Haaker, Institut für Systemische Neurowissenschaften des UKE. Angsterkrankungen entstehen Haaker zufolge nicht nur durch eigene traumatische Erfahrungen, sondern werden oft durch das Beobachten traumatischer Erfahrungen anderer Menschen erlernt. In westlichen Ländern ist krankhafte Angst eine der häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Evolutionsbiologisch macht das soziale Lernen von Ängsten durchaus Sinn: Wer in der Lage ist, aus den schmerzhaften Erfahrungen anderer Menschen zu lernen, ist für zukünftige Bedrohungen besser gewappnet, ohne zuvor selbst diese schmerzhaften Erfahrungen machen zu müssen.
Zeichen der gelernten Angst: feuchte Hände
Für die Studie untersuchten die Neurowissenschaftler insgesamt 43 Probanden. Bei der Hälfte der Teilnehmer blockierten die Wissenschaftler die Opioid-Rezeptoren (Bindungsstellen der endogenen Opioide im Gehirn) mithilfe des Wirkstoffs Naltrexon (22 Personen). Die andere Hälfte bekam ein unwirksames Placebo (21 Personen). Danach wurden den Probanden verschiedene Videos gezeigt. In manchen dieser Filme löste das Erscheinen von blauen Quadraten bei Menschen augenscheinlich starke Schmerzen aus. Im Anschluss an diese Phase des beobachteten Lernens konfrontierten die Forscher die Teilnehmer erneut mit den vermeintlichen Gefahren. Dabei untersuchten sie die Hirnaktivität der Probanden mit funktioneller Kernspintomographie (fMRT). Ergebnis: Werden die Opioid-Rezeptoren während der Lernphase blockiert, reagieren die Versuchsteilnehmer stärker auf den Schmerz anderer Menschen. „Sie zeigen dann auch in Hirnarealen, die für die Regulation von Schmerzen und Bedrohungen zuständig sind, eine stärkere Durchblutungsänderung“, sagt Haaker. „Diese Personen haben also das Warnsignal besser gelernt, das den Schmerz bei anderen Menschen voraussagt.“ Dass diese Reaktion kein kurzfristiger Effekt ist, zeigte sich drei Tage später bei einer Nachuntersuchung: Beim Betrachten der vermeintlich gefährlichen blauen Quadrate reagierten diese Probanden mit vermehrter Schweißproduktion – und bekamen feuchte Hände.
Sonderforschungsbereich zu Furcht, Angst, Angsterkrankungen
Unterstützt wurde die Arbeit der Forscher von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem European Research Council (ERC) und der schwedischen Wallenberg-Stiftung. Dr. Jan Haaker ist als Arbeitsgruppenleiter im Sonderforschungsbereich-Transregio 58 (SFB-TR) „Furcht, Angst, Angsterkrankungen“ tätig, an dem neben dem UKE und der Universität Hamburg auch die Universitäten Münster, Würzburg und das Universitätsklinikum Mainz beteiligt sind. Ziel des Sonderforschungsbereichs ist die Erforschung der grundlegenden Mechanismen von Furcht, Angst und Angsterkrankungen.
Literatur: Haaker J. et al. Endogenous opioids regulate social threat learning in humans. Nature Communications, 15495. DOI: 10.1038/NCOMMS15495
Quelle: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf auf idw