Eine Epilepsie bricht meist früh in das Leben der Betroffenen ein: Rund drei von vier Patienten leiden schon in ihrer Kindheit an den wiederkehrenden epileptischen Anfällen. Gerade in jungen Jahren kann die Krankheit die Entwicklung beeinträchtigen, sowie berufliche und soziale Möglichkeiten stark einschränken. Durch eine Operation können rund zwei Drittel der jugendlichen Patienten dauerhaft anfallsfrei werden, bei Erwachsenen immerhin noch 58 Prozent. Zudem haben die meisten postoperativ nicht anfallsfreien Patienten deutlich weniger Anfälle als vor der OP. Dennoch wird diese wichtige Therapieoption noch immer zu selten oder zu spät genutzt, kritisiert die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung e.V. (DGKN). Durch das Zögern gehe gerade für junge Menschen in ihrer Entwicklung viel wertvolle Zeit verloren.
Derzeit befinden sich in Deutschland rund 640 000 Menschen wegen einer Epilepsie-Erkrankung in ärztlicher Behandlung. Mithilfe moderner Antikonvulsiva können rund 70 Prozent von ihnen anfallsfrei leben. „Das bedeutet aber auch, dass bei fast jedem dritten Betroffenen die medikamentöse Therapie allein nicht ausreicht“, sagt Professor Dr. med. Felix Rosenow, Leiter des Epilepsiezentrums Frankfurt Rhein-Main der Goethe Universität Frankfurt/Main und 1. Vizepräsident der DGKN. Hier stelle die operative Entfernung des Epilepsieherdes eine wichtige Behandlungsmöglichkeit dar. Auch Patienten, bei denen die Antikonvulsiva zwar Anfälle verhindern, aber starke Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel, Doppelbilder und Kopfschmerzen verursachen, können unter Umständen von einer Operation profitieren.
Anfallsauslösende Hirnregion lässt sich sehr genau eingrenzen
Für welche Patienten ein chirurgischer Eingriff infrage kommt, welche Erfolgsaussichten bestehen und mit welchen Funktionsausfällen auf der anderen Seite zu rechnen ist – Fragen wie diese können heute bereits im Vorfeld der Operation recht präzise geklärt werden. „Mithilfe von Hirnstrom-Ableitungen (EEG), der Magnetoenzephalografie (MEG) und modernen bildgebenden Verfahren wie der speziellen epilepsieangepassten Hochfeld-Kernspinntomographie (3T MRT) lässt sich die auslösende Hirnregion sehr genau eingrenzen“, sagt Rosenow. Diese Untersuchungen seien eine wichtige Voraussetzung dafür, einen operativen Eingriff überhaupt planen zu können. Umso kritischer sieht der Neurologe die Tatsache, dass Teile der spezialisierten präoperative Diagnostik wie die MEG und EEG-Quellenlokalisation bislang nicht mit den Krankenkassen abgerechnet werden kann und nur im Rahmen von Forschungstätigkeit eingesetzt wird. „Dadurch gibt es kaum klinische Anwendung, das verhindert Ausbreitung dieser Methoden.“ Dieser Mangel trägt womöglich dazu bei, dass in Deutschland pro Jahr nur rund 500 Epilepsie-Operationen vorgenommen werden – obwohl Experten davon ausgehen, dass der Eingriff mehreren zehntausend Patienten Erleichterung bringen könnte.
Die Entscheidung für oder gegen eine chirurgische Intervention liegt immer beim Patienten selbst, betont Rosenow. Zuweilen sei hier eine schwere Entscheidung zu treffen – wie etwa bei einem kleinen Mädchen, deren Epilepsie sich durch Handzuckungen bemerkbar machte, darüber hinaus aber auch die Gehirnentwicklung erheblich beeinträchtigte. „Durch die Entfernung des Anfallsherdes konnte das Gehirn des Mädchens sich wieder normal entwickeln. Der Preis hierfür war jedoch eine dauerhafte Lähmung der betroffenen Hand“, berichtet Rosenow. Solche neurologischen Defizite seien in manchen Fällen unvermeidbar – immerhin werde ja Gehirngewebe entfernt – könnten aber heute auf ein Minimum begrenzt werden. Denn in vielen Fällen kann der Anfallsherd inzwischen mikrochirurgisch oder gar minimal invasiv durch kleine Bohrlöcher entfernt werden, ohne dass der Schädel großflächig eröffnet werden muss.
Dennoch betrachten nicht nur Patienten, sondern auch viele Ärzte die Operation noch immer als Mittel der letzten Wahl. „Im Durchschnitt werden Patienten 16 Jahre lang medikamentös therapiert, bevor die Überweisung an ein Zentrum mit epilepsiechirurgischer Expertise erfolgt“, sagt Rosenow. In der Zwischenzeit verlieren manche Betroffenen aufgrund der Anfälle ihre Arbeit, ihren Führerschein oder ihre Lebenspartner. Der Frankfurter Neurologe plädiert daher dafür, die chirurgische Option wesentlich früher als bisher zu prüfen – spätestens dann, wenn auch das zweite antiepileptische Medikament keine Anfallsfreiheit bringt.
Literatur:
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Rosenow F, Lüders H. Presurgical evaluation of epilepsy. Brain. 2001 Sep;124(Pt 9):1683-700.
Quelle: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. auf idw