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Gedächtnisverarbeitung im Schlaf sichtbar gemacht

Tübinger Neurowissenschaftler zeigen mit Hilfe maschineller Lernalgorithmen: Aktive Verarbeitung von Gedächtnis im Schlaf hilft uns, neue Information zu behalten

Schlaf hilft uns, besser zu behalten, was wir tagsüber gelernt haben. Aus Tierexperimenten ist bekannt, dass neue Gedächtnisinhalte im Schlaf reaktiviert werden, unser Gehirn also die Lernerfahrung noch einmal abspielt während wir schlafen. Dies führt dazu, dass neues Gedächtnis über Nacht gefestigt wird. Bislang war solch eine Reaktivierung von Lerninhalten beim Menschen schwer nachweisbar, da sich die Aktivität einzelner Neurone nicht beobachten lässt und die meisten Gedächtnisinhalte ganze Netzwerke von Hirnregionen aktivieren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen konnten nun mit neuen statistischen Mustererkennungsmethoden aus dem Bereich des maschinellen Lernens zeigen, dass auch der Mensch im Schlaf vorher Gelerntes verarbeitet. Die Ergebnisse erschienen am Mittwoch im Fachmagazin Nature Communications.

Lernen verändert Gehirnaktivität im Schlaf

Mit Hilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG) untersuchten die Forscher die Hirnaktivität im Schlaf. Sie zeichneten nachts die elektrische Hirnaktivität von Versuchsteilnehmern auf, die vorher unter verschiedenen Versuchsbedingungen unterschiedliche Arten von Bildern auswendig gelernt hatten. Mit diesen Daten wurde dann eine sogenannte Support-Vektor-Maschine – ein Computeralgorithmus zur Mustererkennung – darauf trainiert, die unterschiedlichen Lernbedingungen auseinanderzuhalten. Der Algorithmus war danach in der Lage, allein aus dem Schlaf-EEG anderer Probanden zu bestimmen, welche Art von Bildern diese vor dem Schlaf gesehen haben. Das Lernen der Bilder musste also die Aktivität des Gehirns im Schlaf verändert haben.

Anzeichen für die schlafabhängige Verarbeitung von Lerninhalten fanden die Forscher sowohl im Tiefschlaf als auch im REM-Schlaf. „Je stärker das vorherige Lernmaterial im Schlaf verarbeitet wurde, desto besser behielten die Versuchsteilnehmer die Inhalte“, erklärt Dr. Monika Schönauer, die die Studie zusammen mit ihrer Kollegin Sarah Alizadeh maßgeblich durchgeführt und ausgewertet hat. „Unsere Ergebnisse liefern damit die ersten Hinweise dafür, dass die schlafabhängige Verarbeitung von Lernerfahrungen tatsächlich zu einer Stabilisierung des Gedächtnisses führt."

Interessanterweise ließ sich dieser Zusammenhang zwischen der Wiederverarbeitung und der Gedächtnisleistung nur im Tiefschlaf nachweisen, nicht jedoch im REM-Schlaf. „Tiefschlaf und REM Schlaf scheinen beide an der Gedächtnisverarbeitung im Schlaf beteiligt zu sein. Sie haben aber unterschiedliche Funktionen", schließt Schönauer aus den Ergebnissen. Es sei nun besonders wichtig, genauer zu verstehen, welche Funktion der REM-Schlaf habe.

Abgleich von Mustern macht Lern-Aktivität im Hirn sichtbar

Ein großer Teil der Forschungsarbeit bestand darin, einen Algorithmus zu entwickeln, der Schwankungen in der elektrischen Hirnaktivität im Schlaf erkennt, die durch vorheriges Lernen ausgelöst wurden. „Wir mussten also eine Möglichkeit finden, die winzigen, relevanten Muster im Meer der Hirnaktivität des Nachtschlafs zu identifizieren", sagt Professor Steffen Gais, der die Studie federführend leitete. Dies gelang letztlich mit den Methoden des maschinellen Lernens zur multivariaten Mustererkennung, wie sie auch von den großen Suchmaschinen im Internet eingesetzt werden. Gais ist zuversichtlich, was künftige Studien angeht: „Musterkennung ist eine äußerst sensitive Methode, die in den Lebenswissenschaften immer breitere Anwendung findet. Ich gehe davon aus, dass gerade im Bereich der kognitiven Neurowissenschaften damit Durchbrüche möglich werden, wenn es darum geht, bisher verborgene Prozesse wie Träume oder spontane Denkvorgänge zu entschlüsseln.“

Publikation: M. Schönauer, S. Alizadeh, H. Jamalabadi, A. Abraham, A. Pawlizki & S. Gais: Decoding material-specific memory reprocessing during sleep in humans. Nature Communications, 17. Mai 2017, DOI: 10.1038/NCOMMS15404

Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen auf idw