Ein Ansatz zur Behandlung von Parkinson- oder Huntington-Patienten ist, defekte Gehirnzellen durch frische Zellen zu ersetzen. Hierfür werden unreife Vorläuferzellen von Neuronen in die erkrankten Gehirne implantiert, die dann vor Ort ausreifen und die Funktion der defekten Zellen übernehmen sollen. „Allerdings hat sich immer wieder gezeigt, dass die vom Transplantat gebildeten Nervenzellen kaum in das Gehirn einwandern, sondern sich nicht von der Stelle bewegen“, sagt Prof. Dr. Oliver Brüstle, Direktor des Instituts für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn. Wissenschaftler vermuteten lange Zeit, dass dieser Effekt damit zusammenhängt, dass im ausgereiften Gehirn ungünstige Bedingungen für die Aufnahme weiterer Nervenzellen herrschen.
Unreife und reifere Nervenzellen ziehen sich wie Magnete an
Die Forscher vom Institut für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn entdeckten nun einen völlig unerwarteten Mechanismus, auf den sich das mangelnde Wandervermögen der implantierten Vorläuferzellen zurückführen lässt. Die implantierten Zellen reifen unterschiedlich schnell aus, deshalb kommt es zu einer Mischung von beiden Stadien. „Die noch weitgehend unreifen Vorläuferzellen ziehen die bereits weiter ausgereiften Nervenzellen wie Magnete an, weshalb es zu einer Art Zusammenballung kommt“, sagt Erstautorin Dr. Julia Ladewig, die kürzlich mit einem Förderpreis von 1,25 Millionen Euro des NRW-Wissenschaftsministeriums und des Kompetenznetzwerks Stammzellforschung ausgezeichnet wurde. Ursache der bislang verborgen gebliebenen Anziehungskraft sind chemische Lockstoffe, die von den Vorläuferzellen ausgeschüttet werden. „Dadurch hindern die Nerven-Vorläuferzellen die ausgereiften Hirnzellen daran, weiter in das Gewebe einzudringen“, sagt Dr. Philipp Koch, der als weiterer Erstautor zusammen mit Dr. Ladewig die Hauptarbeit zur Studie geleistet hat.
Die Wissenschaftler hatten zunächst beobachtet, dass die Auswanderung von Nervenzellen umso schlechter ist, je mehr Vorläuferzellen das Transplantat enthält. In einem zweiten Schritt ist es den Forschern vom Institut für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn gelungen, die für die Zusammenballung reifer und unreifer Neurone verantwortlichen Lockstoffe zu entschlüsseln und zu inaktivieren. Wenn die Wissenschaftler die Rezeptor-Tyrosin-Kinase-Liganden FGF2 und VEGF mit Hemmstoffen ausschalteten, wanderten ausgereifte Nervenzellen besser in den Tiergehirnen und verteilten sich über viel größere Bereiche.
Vielversprechender universeller Ansatz für Transplantationen
„Es handelt sich um einen vielversprechenden neuen Ansatz zur Lösung eines alten Problems der Neurotransplantation“, resümiert Prof. Brüstle. Durch die Hemmung der Lockstoffe lasse sich die Einwanderung implantierter Nervenvorläuferzellen ins Gehirn deutlich verbessern. Wie die Forscher an verschiedenen Modellen mit Vorläuferzellen von Tieren und Menschen zeigten, handelt es sich bei dem Mechanismus um ein fundamentales Prinzip, das auch über Speziesgrenzen hinweg funktioniert. „Es ist jedoch noch weitere Forschung notwendig, um das Prinzip in die klinische Anwendung zu überführen“, sagt Prof. Brüstle.
Publikation: Auto-attraction of neural precursors and their neuronal progeny impairs neuronal migration, Nature Neuroscience, DOI: 10.1038/nn.3583
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (http://www3.uni-bonn.de/Pressemitteilungen/271-2013)