Die Möglichkeit, medizinisches Cannabis in begründeten Einzelfällen zu verschreiben, wurde 2017 an ein begleitendes Monitoring gekoppelt, an das die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ihre Erfahrungen mit der Therapie melden sollten. Bis zum Abschluss der auf fünf Jahre angelegten Erhebung gingen Informationen zu rund 21.000 Behandlungen ein, etwas mehr als 16.800 dieser Datensätze waren vollständig, sodass sie in die Auswertung einbezogen werden konnten. „Damit wird jedoch nur ein Teil der tatsächlich erfolgten Behandlungen abgebildet“, sagt Professor Dr. med. Frank Petzke, Leiter der Schmerzmedizin an der Klinik für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Göttingen und Sprecher der Ad-hoc-Kommission „Cannabis in der Medizin“ der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. Denn nur die Daten von gesetzlich Versicherten, deren Behandlungskosten von der Kasse tatsächlich auch übernommen wurden, flossen in die Erhebung ein; Privatversicherte und Selbstzahler wurden nicht berücksichtigt.
Auch aus einem anderen Grund sind die Daten aus der Begleiterhebung vermutlich nicht repräsentativ. „Die Teilnahme war zwar für alle verschreibenden Ärzte und Ärztinnen verpflichtend – wer sich daran hielt und wer nicht, wurde jedoch nicht überprüft“, sagt Petzke. Fest stehe jedoch, dass die Bereitschaft zur Meldung sehr unterschiedlich gewesen sei: Obwohl bekannt ist, dass die Cannabis-haltigen Präparate vor allem über die hausärztlichen Praxen abgegeben wurden, stammten mehr als die Hälfte der in die Begleiterhebung eingespeisten Daten von Anästhesisten, also auf Schmerzmedizin spezialisierten Ärztinnen und Ärzten.
Dennoch liefern die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) veröffentlichten Daten einige wichtige Informationen. Zum einen gibt die Erhebung einen Überblick über das Spektrum der Erkrankungen und Beschwerden, bei denen Cannabis-haltige Präparate zum Einsatz kommen. „Die mit Abstand häufigste Indikation ist der chronische Schmerz“, berichtet Petzke. Er mache drei Viertel der Behandlungen aus, gefolgt von Spastik (9,6 Prozent) und Anorexie oder Wasting mit 5,1 Prozent. Die zugrundeliegende Erkrankung war in 14,5 Prozent der Fälle eine Tumorerkrankung, in knapp 6 Prozent eine Multiple Sklerose. Begrenzte Aussagen sind auch zu den eingesetzten Medikamenten möglich. So wurde am häufigsten das Cannabis-Arzneimittel Dronabinol verschrieben – es stellte mit 62,2 Prozent fast zwei Drittel der Verordnungen. Cannabis-Blüten dagegen wurden zwar deutlich seltener, besonders aber an jüngere, männliche Patienten abgegeben; auch wiesen sie eine höhere THC-Dosis auf.
Doch welche Schlüsse lassen sich in Bezug auf die Wirksamkeit der Cannabis-Präparate ziehen, und unter welchen Umständen sollten die Krankenkassen die Kosten für die Therapie übernehmen? Einen positiven Effekt der Cannabis-Medikamente sahen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte vor allem bei schwerwiegenden Erkrankungen und bei starken Schmerzen. „Bei chronischen Schmerzen sowie in der Palliativmedizin sollte es daher weiterhin möglich sein, medizinisches Cannabis ohne großen bürokratischen Aufwand zu verschreiben“, sagt Petzke. Allerdings sollten die Kriterien hierfür im Rahmen von Studien weiter charakterisiert werden. Bevor die Krankenkassen die Cannabis-Therapie für weitere Indikationen öffneten, sollte jedoch wie bei allen anderen Medikamenten ein evidenzbasiertes Zulassungsverfahren durchlaufen werden – mit doppelblinden, placebokontrollierten Studien, auf die bislang verzichtet wurde.
(Thomas Isenberg, Bundesgeschäftsstelle, Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.)
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Quellen: idw-online.de, BfArM, Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.