In Deutschland leiden etwa acht Millionen Menschen an Migräne. Häufig geben Patienten an, dass die Attacken mit Wetterumschwüngen zu tun hätten. Wissenschaftlich nachgewiesen ist dies jedoch bislang nicht. Forscher der Hochschule Hof gehen mit dem Projekt „Migräne Radar 2.0" diesem möglichen Zusammenhang nach. Auf einer Internetplattform können Betroffene ihre Migräne-Attacken oder Anfälle von Spannungskopfschmerz melden. Anschließend werten die Forscher die Daten wissenschaftlich aus. „Von einem solchen Projekt ganz im Sinne einer modernen Bürgerwissenschaft profitieren beide Seiten“, sagt Professor Dr. med. Stefan Evers, Tagungspräsident des Deutschen Schmerzkongresses und Chefarzt der Klinik für Neurologie am Krankenhaus Lindenbrunn.
Migräne-Auslöser sind ganz individuell
„Viele Migräne-Patienten sind fest davon überzeugt, dass das Wetter großen Einfluss auf ihre Krankheit hat“, so Evers, der sich seit Jahren wissenschaftlich mit dem Thema Kopfschmerz auseinandersetzt. Weitere bekannte Auslöser, auch Trigger genannt, seien Stress, Schlaf- oder Flüssigkeitsmangel, sowie bestimmte Medikamente oder Nahrungsbestandteile. „Die Trigger sind jedoch von Patient zu Patient sehr unterschiedlich und lassen sich daher nur schlecht statistisch erfassen“, sagt Evers. Auch ein möglicher Einfluss des Wetters ist bislang nicht wissenschaftlich belegt. Projekte wie der „Migräne Radar 2.0“, die die Auswertung einer großen Zahl von Kopfschmerzattacken ermöglichen, könnten diesen Beweis nun endlich liefern.
Teilnehmer können Kopfschmerz-Tagebuch führen
Schon das Vorläuferprojekt „Migräne Radar“ wurde von den Patienten sehr gut angenommen. Ermutigt von der großen Akzeptanz starteten die Wissenschaftler dann vor rund einem Jahr den „Migräne Radar 2.0“, der deutlich mehr Daten abfragt und eine genauere Auswertung ermöglicht. Mittlerweile haben auch hier schon über 3000 Patienten Informationen über ihre Migräneanfälle eingespeist. Die Meldung von Kopfschmerzattacken erfolgt nach wie vor anonym, im Gegensatz zum Vorläuferprojekt müssen die Teilnehmer sich jedoch zunächst registrieren. So können die Forscher nachvollziehen, ob Patienten nur mal „reingeschnuppert“ haben oder ob sie ihre Anfälle regelmäßig melden. Online oder per Smartphone-App geben die Teilnehmer Art, Ort und Dauer ihrer Attacken ein. Zusätzlich geben sie Auskunft über die Begleitumstände des Anfalls sowie über Gegenmaßnahmen, die sie ergriffen haben.
Aus diesen Daten erhoffen die Forscher sich neue Erkenntnisse nicht nur in Bezug auf die populäre Frage nach dem Wetter. „Auch Hinweise auf saisonale Unterschiede, besonders anfällige Altersgruppen oder Wochentage, an denen die Migräne bevorzugt zuschlägt – die sogenannte Wochenend-Migräne – wären sehr aufschlussreich“, sagt Evers. Für eine Auswertung ist es allerdings noch zu früh. Auch für Patienten bringt die „Radar“-Plattform Vorteile: So bündelt ein individueller Online-Migränekalender alle Meldungen eines Patienten. Dieser kann wie ein Kopfschmerztagebuch genutzt werden und Aufschluss über das Muster der Anfälle und mögliche Trigger geben. Außerdem kann die Übersicht ausgedruckt und dem behandelnden Arzt vorgelegt werden. Registrierte Teilnehmer haben auch Zugriff auf die statistische Auswertung der bislang gemeldeten Daten. „Solche Initiativen sind sehr wichtig, denn sie rücken die Sicht des Patienten ins Zentrum der Kopfschmerzforschung und beziehen ihn in die Forschung ein“, sagt Professor Dr. med. Michael Schäfer, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und leitender Oberarzt und Schmerzforscher an der Berliner Charité. Beim „Migräne Radar 2.0“ sieht er dies in idealer Weise verwirklicht. Das Projekt ist offen für Vorschläge aus dem Kreis der Teilnehmer, etwa was die Auswertung in Bezug auf mögliche Trigger angeht. Und nicht zuletzt haben die Patienten das gute Gefühl, ihrer Krankheit nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Schließlich tragen sie als Teilnehmer an einer Bürgerwissenschaft dazu bei, dass die Volkskrankheit Migräne und ihre Ursachen endlich besser verstanden werden.
Literatur: Drescher J., Wogenstein F., Evers S., Gaul C., Scheidt J.: Projekt Migräne Radar, Nervenheilkunde 10/2015. S. 818-824
Quelle: Deutschen Schmerzgesellschaft e. V.