Der Alltag von Menschen mit Parkinson und parkinsonähnlichen, neurodegenerativen Erkrankungen wie der Multisystematrophie (MSA) wird oft von Stürzen und damit einhergehenden Verletzungen beeinträchtigt. „Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die erhöhte Fallneigung bei Parkinson auf spontane Blutdruckabfälle, sogenannte klassische orthostatische Hypotonien, zurückzuführen ist“, bestätigt Neurobiologe Gregor Wenning, der an der Universitäts-Klinik für Neurologie seit vielen Jahren zu Parkinson und MSA forscht.
An der Universitäts-Klinik für Neurologie wird schwerpunktmäßig zur orthostatischen Hypotonie (OH) geforscht. Diese Kreislaufstörung, die bei Parkinson und MSA aufgrund von Fehlfunktionen des autonomen Nervensystems auftritt, zeigt sich als Abfall des systolischen Blutdrucks (oberer Messwert) um mindestens 20 mmHg oder des diastolischen Blutdrucks (unterer Messwert) um mindestens 10 mmHg innerhalb von drei Minuten nach dem Aufstehen im Vergleich zu den Ruhewerten im Liegen. Bei MSA-PatientInnen kann der Blutdruck auch binnen nur einer Minute nach dem Aufstehen drastisch sinken. Schwindel und kurz andauernde Bewusstlosigkeit können die Folge sein.
In der neuen Studie, die Gregor Wenning gemeinsam mit den Neurologinnen Alessandra Fanciulli (Med Uni Innsbruck) und Cecilia Raccagni (Neurologie Bozen) leitet und die zusammen mit der Arbeitsgruppe um den Parkinson-Experten Klaus Seppi durchgeführt wird, will man nun an 30 ProbandInnen (PatientInnen mit Parkinson und mit atypischem Parkinsonsyndrom MSA) die Wirkung einer tagsüber getragenen Bauchbinde auf den Blutdruck beobachten. „Die Bauchbinde kommt eigentlich aus der Adipositas-Chirurgie und wird in unserem Projekt quasi zweckentfremdet. Wir setzen sie ein, um mit der ausgeübten Kompression Blutansammlungen im Bauchraum zu unterbinden oder aufzulösen, sodass das Blut wieder zurück in den Kreislauf fließt und der Blutdruck stabilisiert wird“, erklärt Alessandra Fanciulli. Schon eine vorangegangene kleinere Innsbrucker Pilotstudie mit 14 ProbandInnen zeigte, dass das Tragen einer Bauchbinde Blutdruckabfälle verhindern kann. Dieser nicht-medikamentöse Eingriff bewährt sich vor allem bei älteren PatientInnen, die mit der gleichzeitigen Einnahme mehrerer Medikamente oft unter Wechselwirkungen leiden und nicht durch ein weiteres Medikament zusätzlich belastet werden sollten. Im Rahmen dieser personalisierten Therapie entscheiden die PatientInnen zudem selbst, wann und wie lange sie die Bauchbinde tragen.
Um die erwünschte Reduktion von abrupten Blutdruckabfällen kontrollieren zu können, wird die Reaktion des Körpers auf die passive Lageveränderung mittels Kipptisch-Untersuchung beobachtet. Das Innsbrucker Kipptischlabor ist eines der ersten dieser Art in Österreich. „Die Patienten liegen auf einer flexiblen Trage und sind mit Gurten gesichert. Nach dem Kippen der Liegefläche können wir messen, ob die spontane Lageveränderung zu einem Blutdruckabfall führt. Damit steht uns ein standardisierter Parameter zur klinischen Beurteilung der orthostatischen Hypotonie zur Verfügung“, erklärt Wenning. Ob das Tragen der Bauchbinde untertags schließlich zu einer Verbesserung von Gangbild und Ganggeschwindigkeit beiträgt, wird im Ganganalyse-Labor anhand von Sensoren, die in den Schuhen der PatientInnen integriert sind, in regelmäßigen Abständen überprüft.
„Die ausgeprägte Fallneigung bei älteren Parkinson- und MSA-Patienten ist mit hoher Verletzungsgefahr und auch Mortalität verbunden. Doch diese motorischen Defizite sind relativ einfach behandelbar: Die mechanische Stabilisierung des Blutdrucks verbessert die Gangsicherheit, hilft, Stürze zu vermeiden und erleichtert damit den Alltag der Betroffenen“, betont Wenning.
Quelle: Medizinische Universität Innsbruck