Wie navigieren wir in einer Umgebung und erinnern uns später an Orte? Neurowissenschaftler*innen des Universitätsklinikums Freiburg und der Columbia University, USA, konnten in einer neuen Studie zeigen, dass Nervenzellen Richtungen und Entfernungen relativ zum navigierenden Organismus kodieren (siehe Neuron, Online-Veröffentlichung am 14.7.2021). Sie beschreiben einen bisher unbekannten Zelltyp im menschlichen Gehirn, der vermutlich eine Schlüsselrolle bei Navigation und Gedächtnis spielt. Die Erkenntnisse können bei der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer helfen, zu deren häufiger Symptomatik sowohl Gedächtnis- als auch Orientierungsstörungen zählen.
„Die Befunde geben Einblicke in neuronale Mechanismen von Erkrankungen, die das Gedächtnis beeinträchtigen“, berichtet Ko-Studienleiter Prof. Dr. Andreas Schulze-Bonhage, Abteilungsleiter Prächirurgische Epilepsiediagnostik – Epilepsiezentrum an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikum Freiburg.
Um die zellulären Mechanismen zu untersuchen, zeichneten die Neurowissenschaftler*innen im menschlichen Gehirn die Aktivität von mehr als tausend Neuronen auf. Möglich war dieses Vorgehen durch den Einbezug von Patient*innen des Epilepsiezentrums am Universitätsklinikum Freiburg, denen für diagnostische Zwecke Elektroden implantiert worden waren. Die Proband*innen lösten Aufgaben am Computer, die ihre Fähigkeit testeten, durch virtuelle Umgebungen zu navigieren und sich räumlich zu erinnern.
Die Forscher*innen konnten zeigen, dass bei der Navigation und Orientierung sogenannte egozentrierte Richtungszellen aktiviert werden. Diese waren besonders häufig im parahippocampalen Kortex (sog. Gyrus parahippocampalis oder Gyrus hippocampi) zu finden. Frühere Studien hatten gezeigt, dass Patient*innen mit Schäden in dieser Hirnregion Probleme bei der räumlichen Orientierung haben – betroffen könnten die egozentrierten Richtungszellen gewesen sein.
Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigten, dass die Aktivierung der egozentrischen Richtungszellen davon anhängt, ob bestimmte Aspekte der virtuellen Umgebungen vor, hinter, rechts oder links der Patient*innen positioniert waren. Egozentrierte Richtungszellen kodieren also räumliche Informationen in einem Koordinatensystem, das auf die navigierende Person zentriert ist. „Das ist vermutlich wichtig im Alltag, wenn sich Menschen in ihrer Umgebung orientieren und auf geplanten Routen navigieren", sagt Schulze-Bonhage.
Die Forscher*innen untersuchten ebenfalls die Aktivität der egozentrierten Speicherzellen während die Patient*innen versuchten, sich an die Standorte von Objekten in der virtuellen Umgebung zu erinnern. „Die Nervenzellen wurden während des erfolgreichen Gedächtnisabrufs reaktiviert. Das deutet darauf hin, dass sie Teil der neuronalen Basis für das menschliche Gedächtnis sind“, erklärt Dr. Lukas Kunz, Erstautor der Studie und Postdoktorand in der Abteilung Prächirurgische Epilepsiediagnostik – Epilepsiezentrum des Universitätsklinikums Freiburg sowie der Abteilung für Biomedizinische Technik an der Columbia University, USA.
Quelle: Universitätsklinikum Freiburg