Wenn Nervenzellen im Gehirn miteinander kommunizieren, geben sie elektrische Signale häufig in einer bestimmten Frequenz weiter und pendeln sich so auf einen gemeinsamen Rhythmus ein. Verschiedene Frequenzen sind – so die gängige Hypothese – mit unterschiedlichen Hirnleistungen gekoppelt, etwa der Steuerung von Bewegungen oder der Wahrnehmung von Gegenständen. Doch wie finden die Zellen in den richtigen Takt? Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg haben nun in einem bestimmten Hirnbereich, dem Riechkolben von Mäusen, die Zellgruppen ausgemacht, die anderen Neuronen ihren Rhythmus aufzwingen. Es zeigte sich: Für jede der zwei untersuchten Frequenzen ist jeweils ein anderer Zelltyp zuständig. Die nun in Nature Neuroscience erschienenen Ergebnisse werfen ein erstes Licht auf die Entstehung des bisher wenig verstandenen Phänomens der Gehirnrhythmen. Sie schaffen zudem eine wichtige Grundlage zum besseren Verständnis verschiedener Erkrankungen wie der Epilepsie oder Schizophrenie, die mit Störungen eben jener Rhythmen einhergehen.
Seit in den 1920er Jahren erstmals elektrische Potentiale des Gehirns gemessen wurden, ist bekannt, dass Nervenzellen im Gehirn rhythmisch aktiv sind. Wie auf Absprache geben sie ihre Signale in bestimmten Frequenzen weiter, wobei sich diese auch überlagern oder abschwächen können: Mit Hilfe dieses Feintunings kann das Gehirn auf verschiedene Reize angemessen reagieren. Den Sinn dieser Rhythmen erklären sich Physiologen nach einer gängigen Hypothese wie folgt: Für die Verarbeitung ein und desselben Reizes sind in der Regel mehrere Hirnareale gefragt. Um zu prüfen, ob man z.B. eine vorbeigehende Person kennt, muss das Gehirn – vereinfacht dargestellt – auf die Bewegung reagieren, das Bild verarbeiten, die Gesichtsfelderkennung aktivieren und mit der Erinnerung an bekannte Menschen abgleichen. Damit dabei kein Chaos aus zig unzusammenhängenden Meldungen entsteht, pendeln sich die in den Gesamtprozess eingebundenen Netzwerke von Nervenzellen gewissermaßen aufeinander ein.
Zu häufig im Gleichtakt: Überreaktion der Nervenzellen verursacht epileptische Anfälle
„Diese Hypothese wird derzeit intensiv erforscht. Momentan weiß man weder wie oder wo diese Rhythmen entstehen, noch was genau sie bewirken“, sagt Seniorautor Dr. Andreas Schäfer, der inzwischen vom Institut für Anatomie und Zellbiologie des Universitätsklinikums Heidelberg an das University College in London gewechselt ist. Fehler in diesem System haben gravierende Folgen. Bei Epilepsie synchronisieren sich Hirnareale ohne ersichtlichen Grund. Es kommt zu den typischen Krampfanfällen. Anders bei der Schizophrenie: Diese Erkrankung geht mit gestörten Rhythmen im Stirnlappen des Gehirns einher. Die Betroffenen leiden u.a. unter Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Bei beiden Erkrankungen wäre es hilfreich, die fehlgesteuerten Taktgeber zu kennen. So könnte man der Ursache der Erkrankung näher kommen und passende Therapien entwickeln.
Das Team um Dr. Schäfer erforschte den Entstehungsort der Rhythmen in einem überschaubaren Modellsystem, dem Riechkolben von Mäusen. In diesem Gehirnareal werden Signale der Geruchszellen in der Nase verarbeitet, eingeordnet und unterschieden. Die Wissenschaftler schalteten bei genetisch veränderten Tieren einzelne Zellgruppen im Gehirn durch die Bestrahlung mit Licht vorübergehend aus. Mit dieser aktuellen, sogenannten optogenetischen Methode entdeckten sie, dass die beiden wichtigsten Signalfrequenzen des Riechhirns, die schnelle Gamma- sowie die deutlich langsamere Theta-Frequenz, von unterschiedlichen, bereits bekannten Zellgruppen dieses Gehirnbereichs erzeugt werden, den Körner-Zellen und den glomerulären Zellen. Ihr Zusammenwirken ermöglicht die Unterscheidung von Gerüchen. „Mit dieser Arbeit haben wir gezeigt, wie unterschiedliche Rhythmen zustande kommen und dass jeweils andere Zelltypen dafür verantwortlich sind“, so Schäfer. „Das ist ein wichtiger Schritt, um die Signalverarbeitung im Gehirn zu verstehen.“
Literatur:
Fukunaga, I., Herb, J., Kollo, M., Boyden, E.S., Schaefer A.T. (2014): Independent control of gamma and theta activity by distinct interneuron networks in the olfactory bulb. Nature Neuroscience 2014 Sep;17(9):1208-16. doi: 10.1038/nn.3760
siehe auch:
Kollo, M., Schmaltz, A., Abdelhamid, M., Fukunaga, I., Schaefer A.T. (2014): “Silent” mitral cells dominate odor responses in the olfactory bulb of awake mice. Nature Neuroscience 2014 Oct;17(10):1313-5. doi: 10.1038/nn.3768.
Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg