Das Gehirn ist bis ins Erwachsenenalter formbar. Diese Plastizität des Gehirns</link> beruht nicht nur auf der Bildung neuer Nervenverbindungen. Stammzellen im erwachsenen Gehirn bilden zudem neue Nervenzellen (Neuronen). Im Gehirn gibt es jedoch eine weitere Klasse von Zellen, die sogenannten Gliazellen, denen man früher lediglich eine Stützfunktion im Gehirn</link> zuschrieb, obwohl sie einen Hauptbestandteil des Gehirns ausmachen. Offenbar wurde deren Bedeutung lange unterschätzt, denn es gibt Hinweise, dass Gliazellen weit mehr Funktionsweisen im Gehirn übernehmen. Noch weitgehend unerforscht ist, wie viele Gliazellarten existieren, wie diese sich entwickeln und welche Rolle sie spielen.
Stammzellen sind der Geburtsort der Gliazellen
Die Forschungsgruppe von Prof. Dr. Fiona Doetsch am Biozentrum der Universität Basel hat sich bei ihrer Untersuchung auf Stammzellen in der ventrikulär-subventrikulären Zone im erwachsenen Mausgehirn konzentriert. Denn in dieser Region, der sog. Stammzellnische, befinden sich viele Stammzellen in einem Ruhezustand. Sie nehmen jedoch Signale ihrer Umgebung wahr, die sie zum Erwachen und zur Umwandlung in neue Nervenzellen anregen können. Wie Doetsch’s Team berichtet (siehe Science, Online-Veröffentlichung am 11.6.2021) haben die Forschenden vor kurzem ein molekulares Signal entdeckt, das die Stammzellen aus ihrem Ruhezustand weckt und sie dazu anregt, sich zu Gliazellen zu entwickeln.
Gliazellen lassen sich aus ihrem Ruhezustand „aufwecken“
„Wir haben einen Aktivierungsschalter für ruhende Stammzellen gefunden“, erklärt Doetsch. „Es ist ein Rezeptor, der die Stammzellen in ihrem Ruhezustand hält. Schaltet man diesen Schalter aus, werden die Gliazellen aktiv.“ Zudem konnten die Forscher die Entwicklung der Stammzellen zu verschiedenen Gliazellen in bestimmten Bereichen der Stammzellnische visualisieren. „Einige der Stammzellen entwickelten sich nicht zu Neuronen, sondern zu zwei neuartigen Gliazellen“, berichtet Doetsch. Die untersuchte Hirnregion ist also sowohl Geburtsstätte für verschiedene Arten von Gliazellen als auch Brutstätte für Nervenzellen.
„Überrascht hat uns auch, dass wir einen Gliazelltyp an der Oberfläche der Hirnkammerwand und nicht im Hirngewebe selbst gefunden haben“, ergänzt Doetsch. Die Zellen sind vom Hirnwasser umgeben und mit Nervenfasern aus weit entfernten Hirnarealen verknüpft. Sie empfangen von dort Signale und reagieren darauf.
Bei beiden Gliazelltypen konnten die Forschenden nach experimenteller, degenerativer Zerstörung des Gehirns Reaktionen beobachten. Diese neuen Gliazelltypen könnten somit für die Reparatur bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder nach Verletzungen eine wichtige Rolle spielen.
In einem nächsten Schritt möchte Doetsch untersuchen, ob und inwiefern die neu entdeckten Gliazelltypen für die normale Gehirnfunktion und bei verschiedenen physiologischen Reaktionen eine Rolle spielen. Dies könnte wichtige Hinweise darauf liefern, wie die Erneuerung und Reparatur von Nervengewebe funktioniert, und damit zum Verständnis der Plastizität des Gehirns beitragen.
Quelle: Universität Basel