Neurofibromatose bezeichnet eine Gruppe von Erbkrankheiten, die zu einem unkontrollierten Wachstum von Nerven- und Bindegewebe führen. Allein in Deutschland sind schätzungsweise 40.000 Menschen davon betroffen. Alle Erkrankungsformen werden autosomal dominant vererbt, d.h. etwa die Hälfte der Nachkommen wird die genetische Fehlinformation weitergegeben. Aber auch ohne familiäre Vorbelastung kann die Krankheit durch spontane Veränderungen des Erbmaterials (Neumutation) entstehen. Jenaer Forscher vom Leibniz-Institut für Altersforschung haben für eine spezielle Form, Neurofibromatose Typ 2 (NF2), einen Mechanismus entdeckt, der jene Schäden erklärt. Defekte Nervenzellfortsätze (Axone) sind dafür verantwortlich. Damit wurde ein neues Target (Angriffspunkt für Therapien) gefunden, das nicht nur bei NF2, sondern auch bei anderen Krankheiten des peripheren Nervensystems eine Rolle spielen könnte. Möglicherweise ein Angriffspunkt für neue Medikamente.
Vor allem zwei Krankheitsbilder besitzen klinische Bedeutung: der am häufigsten vorkommende Neurofibromatose Typ 1 (NF1, Morbus Recklinghausen), der vor allem zu Veränderungen der Haut (Pigmentflecken und gutartige Knötchen) führt. Zum anderen der seltener auftretende Neurofibromatose Typ 2 (NF2), der zu gutartigen Tumoren führt, die meist vom Hirngewebe und von den Hirnnerven ausgehen. Obwohl die Tumore nur langsam wachsen, werden im Krankheitsverlauf die Hör- und Gleichgewichtsnerven irreparabel geschädigt. Bis heute sind alle Formen der Neurofibromatose kausal nicht heilbar.
„Patienten, die an NF2 erkranken, leiden durch die Ausbildung von Tumoren auch an neurologischen Ausfälle, wie zum Beispiel Taubheitsgefühl und Schwäche in den Extremitäten, die auf Schädigungen des peripheren Nervensystems zurückzuführen sind“, berichtet Dr. Morrison, Nachwuchsgruppenleiterin am FLI. Das periphere Nervensystem ist der Teil unseres Nervensystems, der außerhalb des Gehirns und Rückenmarks (zentrales Nervensystem) liegt. Die Kommunikationsbahnen, über die Signale ausgetauscht werden, sind die Nervenzellen (Neuronen). Sie bestehen aus einem Zellkörper mit verschiedenen Fortsätzen: mehreren kurzen Dendriten, die wie Empfangsantennen elektrische Signale von Nachbarzellen aufnehmen und einem meist langen Axon, das wie ein Sendemast die Impulse an andere Zellen weiterleitet.
„Bisher nahm man an, das geschädigte Schwann-Zellen, die die Axone als ein Teil der schützenden Myelinschicht umwickeln, für das Auftreten der neurologischen Schäden verantwortlich sind“, so Morrison weiter. „Diese Zellen haben nicht nur eine stabilisierende und stützende Funktion für die Nervenzelle, sondern bewirken gleichzeitig auch eine elektrische Isolation für schnelle Reizweiterleitung. Darüber hinaus, sind sie die Leitstrukturen für das Auswachsen von Neuronen, also so eine Art Wegweiser zum richtigen Aufbau eines komplexen Nervensystems“. „Wir konnten mit unseren Studien jedoch belegen, dass für die Nervenschäden nicht unkontrolliertes Wachstum der Schwann-Zellen, sondern geschädigte Axone verantwortlich sind“, erzählt Dr. med. Alexander Schulz, der gerade erst seine Ausbildung zum Mediziner abgeschlossen hat. „Die in ihrer Funktionsfähigkeit gestörten Axone konnten wir nicht nur in unseren Tierstudien nachweisen, sondern auch im Nervengewebe von NF2-Patienten“, berichtet Schulz weiter. „Das könnte auch das Rätsel erklären, warum einige NF2-Patienten unter peripherer Neuropathie leiden, die zu Taubheitsgefühl und Schwäche in den Extremitäten führt, obwohl in diesen Gebieten keine Nerventumore nachweisbar sind“, unterstreicht Schulz seine Ergebnisse. „Damit erweitert sich die Sicht auf Axone als mögliche Targets für die Wirkstoffsuche und Behandlung von Neurofibromatose und anderen Erkrankungen dieser Art.“
Die Children’s Tumor Foundation - eine gemeinnützige Stiftung zum Wohl von Neurofibromatose-Erkrankten und ihren Familien - unterstützt das aktuelle Forschungsprojekt am FLI zum Thema “Axonal merlin regulates Schwann cell behavior via neuregulin signalling“ für die nächsten 2 Jahre mit ,000.
Veröffentlichung: Nat Neurosci. 2013, doi:10.1038/nn.3348
Quelle: Leibniz-Institut für Altersforschung - Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI)