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Neue Therapie hilft Schlaganfall-Patienten, das räumliche Sehen zu verbessern

Psychologen der Universität des Saarlandes haben eine neuartige Therapie für Menschen entwickelt, die beispielsweise in Folge eines Schlaganfalls Probleme mit dem räumlichen Sehen haben. Betroffene können dabei ihre Umwelt bereits nach kurzer Zeit oft nur noch verschwommen oder mit Doppelbildern wahrnehmen. Eine effiziente Behandlungsform fehlte bislang. In zwei aktuellen Studien haben die Saarbrücker Forscher um Anna Katharina Schaadt und Professor Georg Kerkhoff nun gezeigt, dass ihr Ansatz langfristig erfolgreich ist und Patienten damit ihr Sehvermögen deutlich verbessern können.

Menschen sehen die Welt mit zwei Augen. Aber erst das Gehirn setzt die Bilder der Augen zu einem einzigen zusammen. Funktioniert dieses Prinzip nicht, kann es zu Sehstörungen kommen, etwa nach einem Schlaganfall, einem Schädel-Hirn-Trauma, aber auch wenn das Gehirn nicht mit ausreichend Sauerstoff versorgt wurde (zerebrale Hypoxie). Die Betroffenen sehen ihre Umwelt dann bereits nach kurzer Sehanstrengung nur noch verschwommen oder in Doppelbildern. Dazu kommen Beschwerden wie erhöhter Augendruck oder Kopfschmerzen. Eine mögliche Ursache: Das Hirn setzt die Bilder der Augen längerfristig nicht mehr zu einem Gesamtbild zusammen. Die Fachleute sprechen hier von binokularer Fusionsstörung. „Dadurch kommt es zu einer deutlich verminderten visuellen Belastbarkeit“, sagt Anna Katharina Schaadt, Psychologin an der Universität des Saarlandes. „Die Patienten sind in ihrem Alltag und Berufsleben in der Regel stark eingeschränkt.“ Sie haben zum Beispiel Probleme bei der Arbeit am Computer oder beim Lesen der Zeitung. Da die binokulare Fusion Grundvoraussetzung für einen dreidimensionalen Tiefeneindruck ist, leiden die Betroffenen zudem häufig unter einer sogenannten teilweisen bis vollständigen Stereoblindheit. „Patienten können räumliche Tiefe nicht mehr richtig wahrnehmen“, so Schaadt. „Die Welt erscheint im Extremfall flach wie ein Bild. Betroffene haben beispielsweise Schwierigkeiten, nach Gegenständen zu greifen, Treppen richtig hinaufzusteigen oder auf unebenem Boden zu gehen.“

Obwohl rund 20 Prozent der Schlaganfall-Patienten und bis zu 50 Prozent der Patienten mit Schädel-Hirnverletzungen an diesen Störungen leiden, gibt es bislang noch keine wirksame Therapie. Forscher der Saar-Uni um Anna Katharina Schaadt und Professor Georg Kerkhoff haben nun einen neuartigen Behandlungsansatz entwickelt und dessen Wirksamkeit in zwei Studien untersucht. „Wir haben Probanden einem sechswöchigen Training unterzogen, bei dem beide Augen gleichermaßen gefordert wurden“, so Schaadt. Ziel war es, die binokulare Fusion und dadurch das räumliche Sehen zu schulen: Den Studienteilnehmern wurden dabei zwei seitlich leicht versetzte Bilder präsentiert. Diese Bilder sollten dann mit Hilfe sogenannter konvergenter Augenbewegungen zu einem einzigen Bild zusammengesetzt werden. Hierbei bewegen sich die Augen gegensinnig nach innen, also zur Nase hin, die Bilder bleiben aber im Blickfeld. Mit der Zeit „verschmelzen“ die beiden Bilder wieder zu einem Bild, das auch wieder räumliche („stereoskopische“) Tiefe enthält.

Die Saarbrücker Psychologen haben dieses Training mit elf Schlaganfall-Patienten, neun Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma und vier Hypoxie-Patienten durchgeführt. Bei allen Teilnehmern stellte sich nach dem Training eine deutliche Verbesserung der binokularen Fusion und des Stereosehens ein – oft bis zu einem normalen Leistungsniveau. „Auch bei zwei Nachuntersuchungen nach drei und sechs Monaten blieben die Ergebnisse stabil“, sagt Schaadt. „Darüber hinaus hat sich die visuelle Belastbarkeit erheblich verbessert.“ Konnten die Testpersonen zuvor beispielsweise nur 15 bis 20 Minuten am Computer arbeiten, war dies im Anschluss wieder bis zu drei Stunden möglich.

Für die Wissenschaftler sind die Ergebnisse auch von theoretischem Nutzen. So geben sie Aufschluss über die Funktionsweise des Gehirns und zeigen, dass bestimmte Hirnareale nach einer Schädigung durch entsprechende Therapien reaktiviert werden können.

Quelle: Universität des Saarlandes