Leistungsdruck auf der Arbeit, private Verpflichtungen, hohe eigene Ansprüche und ständige Erreichbarkeit: Mehr als die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland fühlt sich gestresst. Damit steigt auch das Risiko für psychische Erkrankungen. Führende Psychiater rücken deshalb heute auf dem DGPPN Kongress in Berlin die Risikofaktoren in den Vordergrund, die mit den modernen Lebensumständen verbunden sind. Sie fordern, diese noch stärker zu erforschen und daraus neue präventive und therapeutische Konzepte zu entwickeln.
Stress ist nicht grundsätzlich negativ. Ein bestimmtes Stressniveau hilft sogar, Herausforderungen und Belastungssituationen zu meistern. Wenn der Stress aber überhand nimmt, wird es ungesund: Ständiger Stress ist ein Risikofaktor, der zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen und zu körperlichen Krankheiten wie Tinnitus, Bluthochdruck oder Infektionskrankheiten führen kann. Besonders alarmierend dabei: Nach aktuellen Erhebungen ist der Stresspegel in Deutschland heute besonders hoch, jeder vierte Erwachsene fühlt sich häufig gestresst.
In vielen Fällen hängt der Stress mit den modernen Lebensumständen zusammen: Immer mehr Menschen leben in Großstädten, die Arbeitsdichte im Job nimmt zu, neue Technologien durchdringen unseren Alltag: „All das beeinflusst unser Denken, unsere Emotionen und unser Verhalten. Überforderung und Stressanfälligkeit können die Folge sein und unsere psychische Gesundheit negativ beeinflussen“, stellt DGPPN-Präsidentin Dr. Iris Hauth auf dem Jahreskongress der Fachgesellschaft fest.
In Großstadten steigt das Risiko für psychische Erkrankungen
So kommen Depressionen oder Angststörungen in Städten zum Beispiel deutlich häufiger vor als auf dem Land. Menschen, die in einer Großstadt geboren wurden, sind noch gefährdeter, ihr Schizophrenierisiko ist mehr als doppelt so hoch. „Studien haben gezeigt, dass das Gehirn von Großstädtern bei negativem Stress deutlich empfindlicher reagiert als das von Landbewohnern. Das stressige Umfeld aktiviert im Gehirn die sogenannte Amygdala. Dieser Mandelkern übernimmt im limbischen System die Funktion eines Gefahrensensors und löst Reaktionen wie Furcht oder Angst aus. Eine Überaktivierung dieser Amygdala ist auf Dauer mit der Entstehung von Depressionen und Angsterkrankungen verknüpft“, so Dr. Iris Hauth weiter.
Die Experten auf dem DGPPN Kongress identifizieren aber noch eine Reihe weiterer neuer Risikofaktoren für psychische Erkrankungen. So fällt es heute vielen Menschen schwer, den digitalen Reizen zu widerstehen. Doch die exzessive Nutzung von Computer und Internet kann sich schwerwiegend auf das Leben der Betroffenen auswirken. Sozialer Rückzug, Probleme am Arbeitsplatz, Depressionen und andere psychische Erkrankungen sind dann die Folge. Gleichzeitig setzen sich gerade viele junge Menschen mit ihren eigenen hohen Erwartungen unter großen Stress. Sie streben zum Beispiel nach unerreichbaren Schönheitsidealen und entwickeln in der Folge Körperbildstörungen.
„Wir wissen heute, dass für die Entstehung psychischer Erkrankungen sowohl biologische Faktoren – etwa genetische Belastungen oder Stoffwechselveränderungen im Gehirn – als auch familiäre Bedingungen, belastende Lebenserfahrungen und weitere Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Hier besteht ein großes Potenzial, um neue präventive und therapeutische Ansätze zu entwickeln“ so Dr. Iris Hauth.
Quelle: Pressemitteilung zum DGPPN Kongress 2016