„Das Leiden unserer Patienten im Alltag ist für uns als Gesunde kaum vorstellbar. Sie haben Probleme beim Schreiben, Essen und vielem mehr. Dabei helfen leider auch Medikamente in vielen Fällen nicht ausreichend.“, berichtet Prof. Dr. Lars Timmermann, Neurologe an der Uniklinik Köln. Durch die gezielte Platzierung von Elektroden zur Tiefen Hirnstimulation (sogenannter: „Hirnschrittmacher“) in einer bestimmten Zielregion im Gehirn (Thalamus und subthalamische Region) kann das Zittern in der Regel um über 80 Prozent reduziert werden. Das ist auch bei den Patienten der Fall, die auf Medikamente nicht ausreichend ansprechen.
Die Elektroden haben an ihren Enden vier Kontakte, die je nach Bedarf und Wirkung durch den Neurologen mit einer bestimmten Stromstärke aktiviert werden. Bei vielen Patienten kann die optimale Wirkung der Tiefen Hirnstimulation nur durch eine unangenehme Nebenwirkung erreicht werden: Die Sprache der Patienten verschlechtert sich.
Man geht davon aus, dass für das Sprechen wichtige Nervenbahnen durch die Stimulation irritiert werden. Viele der Patienten zittern dann zwar nicht mehr, allerdings sprechen die Patienten nicht mehr deutlich, sie können die einzelnen Silben schlecht bis gar nicht mehr voneinander trennen. „Daher musste bislang oft die Stärke der Stimulation wieder reduziert werden, wodurch aber wiederum die völlige Kontrolle des Zitterns verringert wird“, erklärt Dr. Michael Barbe, ebenfalls Neurologe an der Uniklinik Köln. Dies stellt sowohl für den Patienten als auch für den behandelnden Arzt ein Dilemma dar.
Der Arbeitsgruppe Bewegungsstörungen und Tiefe Hirnstimulation um Prof. Timmermann und Dr. Barbe gelang es nun, in einem interdisziplinären Ansatz die nach der Operation auftretende Sprechstörung genauer zu untersuchen. Dabei fanden sie einen Weg, den betroffenen Patienten sowohl eine gute Unterdrückung des Zitterns, als auch eine deutlichere Sprache zu ermöglichen.
Mit Hilfe einer neuen Generation von „Hirnschrittmachern“ ist es möglich, über mehrere Kontaktstellen der Elektrode mit unterschiedlichen Stromstärken zu stimulieren. Der Unterschied: Bislang konnten zwar auch mehrere Kontakte aktiviert werden – allerdings immer nur mit der gleichen Stärke. Eine individuelle Stimulation durch die einzelnen Kontakte unterhalb der Nebenwirkungsgrenze war bislang nicht möglich.
In der Studie, an der die Klinik für Stereotaxie und Funktionelle Neurochirurgie der Uniklinik Köln unter der Leitung von Prof. Dr. Veerle Visser-Vandewalle beteiligt war, konnte belegt werden, dass eine individualisierte Verteilung des Stroms über zwei Kontakte bei gleicher Strommenge die gleiche Reduktion des Zitterns erbringt allerdings ohne eine gravierende Verschlechterung des Sprechens.
Diese Proof-of-Principle-Studie (Machbarkeitsnachweis), die heute (18.02.2014) in Neurology, einem der führenden internationalen Zeitungen, erscheint, zeigt, dass eine individualisierte Aufteilung des Stromfelds über mehrere Kontakte eine nebenwirkungsärmere Hirnschrittmachertherapie ermöglicht, ohne den gewünschten Effekt auf das Zittern zu verlieren.
„Dies könnte uns in Zukunft helfen, bei Patienten mit stimulationsbedingten Sprechstörungen die Sprache zu verbessern, ohne die Wirkung auf das Zittern zu beeinträchtigen“, freut sich Dr. Barbe. Prinzipiell lassen sich die Ergebnisse auch auf Patienten mit beispielsweise Morbus Parkinson oder Dystonie übertragen, die mit der Tiefen Hirnstimulation behandelt werden.
Originalarbeit:
NEUROLOGY/2013/539205 Individualized current-shaping reduces DBS-induced dysarthria in essential tremor patients. Michael Barbe, Till Dembek, Johannes Becker, Jan Raethjen, Mariam Hartinger, Ingo Meister, Matthias Runge, Mohammad Maarouf, Gereon Fink, and Lars Timmermann
Quelle: Uniklinik Köln