Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben erstmals nachgewiesen, dass ein bestimmtes Hirnaktivitätsmuster mit der Erkrankungsschwere der Bewegungsstörung Dystonie sowie dem Behandlungserfolg der Tiefen Hirnstimulation zusammenhängt. Die Ergebnisse der Studie, die in Annals of Neurology* erschienen ist, können helfen, das Therapieverfahren noch bedarfsgerechter anzupassen und damit die Lebensqualität der Patienten entscheidend zu verbessern.
In Europa leiden mehr als 500.000 Menschen unter einer Dystonie. Nach Morbus Parkinson und dem essentiellen Tremor ist diese Krankheit die dritthäufigste Bewegungsstörung weltweit. Bei einer Dystonie ist das Gleichgewicht zwischen erregenden und hemmenden Nervenverbindungen, das für „geordnete“ Bewegungsabläufe sorgt, gestört. So kommt es zu unwillkürlichen Bewegungen, Zuckungen und Krämpfen bestimmter Muskeln. Die zervikale Dystonie betrifft dabei den Hals- und Nackenbereich.
Hirnaktivitätsmuster zeigt Erkrankungsschwere und Therapieeffekt
Die Wissenschaftler der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation an der Klinik für Neurologie zeigen in ihrer Studie nun erstmals für die isolierte Dystonie eine direkte Assoziation zwischen einem spezifischen Hirnaktivitätsmuster, der Symptomschwere und dem anschließenden Effekt der Tiefen Hirnstimulation (THS). Bei Dystonie-Patienten schwingen die Nervenzellen im sogenannten Theta-Rhythmus von vier bis zwölf Hertz. In der aktuellen Studie wurden 27 Patienten mithilfe stereotaktischer Verfahren auf beiden Seiten Elektroden in den Globus pallidus internus (GPi), einen Bereich in den Basalganglien, implantiert. Zwar ist schon länger bekannt, dass dies eine effektive Therapie ist und die gesteigerte neuronale Aktivität durch die Stimulation des GPi gebremst werden kann – die genaue Wirkweise ist jedoch bisher nicht abschließend geklärt. Bei den untersuchten Patienten fand sich die charakteristische Wechselbeziehung zwischen der Hirnaktivität, der vorab klinisch gemessenen Symptomschwere, der Nähe zum optimalen Zielpunkt sowie dem therapeutischen Effekt.
Das Team um Prof. Dr. Andrea Kühn erforscht an der Charité bereits intensiv die Ursachen von Bewegungsstörungen und den Einsatz der THS als Therapieform. So haben bisher insgesamt mehr als 400 THS-Patienten an Messungen der Hirnaktivität teilgenommen. Diese wurden daraufhin auf Muster untersucht, die mit der Symptomschwere und dem Therapieeffekt korrelieren. Mittels einer an der Charité entwickelten Software "LEAD-DBS" wurde dann die Amplitude der gefundenen Aktivitätswellen dreidimensional in einem virtuellen Gehirn kartiert. Hier fand sich zusätzlich ein signifikanter lokaler Anstieg ebendieses Aktivitätsmusters genau in dem Hirnareal, wo die THS bei Dystonie am effektivsten ist. „Unsere Ergebnisse liefern Hinweise für die ursächliche Bedeutung der Theta-Aktivität für die Symptome der Dystonie und bieten einen Erklärungsansatz für die Wirkweise sowie den optimalen Zielpunkt der Tiefen Hirnstimulation bei den betroffenen Patienten“, erklärt Dr. Wolf-Julian Neumann von der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation.
„Um die Langzeiteffekte der THS auf die Aktivität der Nervenzellen zu erforschen, untersuchen wir diese als weltweit einziges Zentrum noch in einer weiteren Studie mit 15 Patienten. Möglich werden diese Untersuchungen dank eines innovativen THS-Systems, das die Hirnaktivität auch nach der Implantation noch weiter aufzeichnet“, erklärt Prof. Dr. Andrea Kühn von der Klinik für Neurologie und Leiterin der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation.
*Wolf-Julian Neumann, Andreas Horn, Siobhan Ewert, Julius Huebl, Christof Brücke, Colleen Slentz, Gerd-Helge Schneider and Andrea A. Kühn: A localized pallidal physiomarker in cervical dystonia. In: Annals of Neurology, Volume 82, Issue 6, December 2017, Pages: 912–924. DOI: 10.1002/ana.25095.
Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin auf idw