Neuropeptide spielen eine grundlegende Rolle bei den Zell- und Schaltfunktionen im Gehirn. Das Signalmolekül Orexin etwa reguliert den Erregungszustand und die Wachphasen. Fällt dieser Neurotransmitter aus, kann es zur ständigen Tagesschläfrigkeit Narkolepsie kommen. Forschenden der Universität Zürich gelang es nun, mit einem neuen fluoreszierenden Biosensor die Freisetzung von Orexin im lebenden Mausgehirn zu beobachten (siehe Nature Methods, online seit 10.2.2022).
Im Gehirn arbeiten Milliarden von Nervenzellen zusammen, um die Funktionen des Organismus zu koordinieren. Sie kommunizieren miteinander über Moleküle, die als Neuropeptide oder Neurotransmitter bekannt sind. Ein Beispiel für ein solches Signalmolekülsystem ist Orexin. Normalerweise reguliert es Erregung, Wachsein, Motivation und Appetit. Fehlfunktionen bei der Freisetzung oder Wahrnehmung von Orexin-Neuropeptiden führen sowohl bei Menschen als auch bei Tieren zu Narkolepsie. Die Betroffenen dieser Krankheit leiden unter überwältigender Tagesmüdigkeit und sind bei vollem Bewusstsein oft nicht in der Lage, ihre Körperbewegungen zu kontrollieren, was zu einer Art Lähmung führt.
Tommaso Patriarchi vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich (UZH) und sein Team haben einen genetisch kodierten Biosensor mit fluoreszierenden Eigenschaften entwickelt. So können sie die Wirkungs- und Freisetzungsmechanismen von Orexin „live“ und mit hoher Auflösung im Gehirn lebender Mäuse erforschen. „Es besteht eine direkte Verbindung zwischen dem speziellen Neuropeptidsystem und der starken Veränderung der menschlichen Gehirnfunktionen bei Narkolepsie. Dies hat uns dazu veranlasst, Orexin genauer zu untersuchen“, erklärt Patriarchi.
Der neue Orexin-Biosensor namens OxLight1 basiert auf einem speziell entwickelten grün fluoreszierenden Protein, das im menschlichen Orexin-Rezeptor integriert ist. „Die Markierung des Rezeptors mit einem fluoreszierenden Protein macht ihn unter dem Mikroskop sichtbar. Wenn das Neuropeptid an den Rezeptor bindet, bringt es ihn zum Leuchten“, erläutert Patriarchi. OxLight1 bildet somit praktisch in Echtzeit die Orexin-Freisetzung in lebenden Tieren wie etwa Mäusen ab.
„Um zu verstehen, wie Neuropeptidsysteme zur gesunden Gehirnfunktion beitragen, müssen wir die von Transmittern übermittelten Botschaften zuerst beobachten und dann interpretieren“, berichtet Patriarchi. Bislang war dies praktisch unmöglich, da es an Instrumenten fehlte, die eine hohe räumliche und zeitliche Auflösung lieferten. Die Forschenden nutzten daher ihren neuen Biosensor, um die Wechselwirkung zwischen neuronaler Aktivität und Orexin-Ausschüttung in lebenden Tieren zu untersuchen.
Sie zeigten, dass die Höhe der Orexin-Freisetzung sowohl mit der Häufigkeit als auch mit der Dauer der neuronalen Aktivierung korreliert. „Die hohe Empfindlichkeit und Geschwindigkeit von OxLight1 ermöglichen es, die Freisetzung von Orexin etwa bei spontanem Laufen oder akutem Stress zu verfolgen“, erklärt Patriarchi. Das Team konnte so im lebenden Gehirn aufzeigen, dass Orexin-Signale mit relativ kurzlebigen, kraftvollen Freisetzungsstößen auftreten.
In einem weiteren Schritt untersuchten die Forschenden die Orexin-Dynamik bei Schlaf-Wach-Übergängen. Dank der photometrischen Aufnahmen und der aufgezeichneten neuronalen Aktivität in verschiedenen Schlafphasen konnten sie zum ersten Mal beobachten, dass der Orexin-Spiegel während des REM-Schlafs der Mäuse schnell abfällt. In Zusammenarbeit mit Experten des Istituto Italiano di Tecnologia aus Italien fanden sie im Rahmen des europäischen DEEPER-Projektes ebenfalls heraus, dass räumlich begrenzte Orexin-Fluktuationen beim Erwachen aus der Narkose im somatosensorischen Hirnkortex auftreten – ein weiterer, bisher unbekannter Prozess.
„Nachdem wir die Orexin-Freisetzung im gesunden Gehirn entschlüsselt haben, wollen wir nun mit OxLight1 die Mechanismen von Hirnerkrankungen wie Narkolepsie und Sucht untersuchen», erklärt Patriarchi. Nach dem ersten Ergebnis des Projekts, für das Tommaso Patriarchi im Jahr 2020 einen ERC Starting Grant erhielt, soll nun weiter geforscht werden. Die von seinem Team entwickelten Biosensoren werden bereits weltweit in Labors eingesetzt. Das neurotechnologische Instrumentarium soll weiter ausgebaut werden und künftig auch neue Screening-Tests für die Arzneimittelentwicklung ermöglichen.
Quelle: Universität Zürich