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Weltraum-Aufenthalt verändert Hirnsubstanz längerfristig

Auch ein halbes Jahr nach der Rückkehr von Langzeit-Missionen gibt es im Gehirn von Kosmonauten noch großflächige Volumenänderungen, zeigen LMU-Mediziner gemeinsam mit einem internationalen Team.

Längere Aufenthalte im Weltraum lassen bei Raumfahrern nicht nur die Muskeln und Knochen schwinden, sondern wirken sich auch auf das Gehirn aus. Allerdings war bisher unbekannt, in welchem Maß die verschiedenen hirneigenen Gewebe sich verändern, und ob es sich bei diesen strukturellen Phänomenen um Langzeiteffekte handelt. Der LMU-Mediziner Professor Peter zu Eulenburg hat nun in Kooperation mit Wissenschaftlern der Universität Antwerpen (Belgien) und russischen Kollegen erstmals Kosmonauten auch über einen längeren Zeitraum nach ihrer Rückkehr untersucht. Wie die Forscher im New England Journal of Medicine berichten, haben sie dabei nachgewiesen, dass selbst ein halbes Jahr nach der Landung noch Volumenänderungen in weiten Bereichen des Gehirns nachweisbar sind.

Die Forscher untersuchten von 2014-18 zehn Kosmonauten, die im Mittel 189 Tage an Bord der internationalen Raumstation ISS verbracht hatten. Bei allen Kosmonauten erfassten sie mittels Magnetresonanztomographie die Hirnstruktur sowohl vor dem Start der Raummission als auch kurz nach der Rückkehr. Bei sieben Kosmonauten führten sie außerdem rund sieben Monate nach der Landung einen weiteren Hirnscan durch. „Damit sind wir die ersten, die über einen längeren Zeitraum nach der Landung Veränderungen untersuchen können“, betont zu Eulenburg.

Die Scans zeigten, dass das Volumen der grauen Substanz, also der Teil des Großhirns, der hauptsächlich Nervenzellkörper enthält, nach der Landung geringer war als vorher. Dieser Effekt bildete sich im Verlauf des halben Jahres nach der Landung etwas zurück, aber nicht vollständig. Der mit Liquor – umgangssprachlich auch Nervenwasser genannt – gefüllte Raum dagegen dehnte sich im All innerhalb des Großhirns aus. Dieser Vorgang setzte sich nach der Rückkehr auf die Erde dann um das Gehirn herum fort. Die weiße Substanz, also der Teil des Hirngewebes, der vor allem aus Nervenfasern besteht, blieb unmittelbar nach der Landung zunächst scheinbar unverändert. Nach einem halben Jahr allerdings war sie im Vergleich zu den früheren Untersuchungszeitpunkten geschrumpft. Die Wissenschaftler vermuten, dass während des Weltraumaufenthalts etwas Volumen der weißen Substanz durch das sich ausdehnende Nervenwasser ausgetauscht wird. Nach der Rückkehr wird dieses Wasser wieder abgegeben, sodass es zu dieser relativen Schrumpfung kommt.

„Insgesamt deuten unsere Ergebnisse auf eine anhaltende Veränderung der Liquor-Zirkulation auch viele Monate nach einer Rückkehr zur Erde hin“, sagt zu Eulenburg. „Ob die beobachteten großflächigen Veränderungen der grauen und weißen Substanz eine Relevanz für die Kognition der Kosmonauten haben, ist aktuell unklar.“ Ein klinischer Hinweis sind bisher lediglich Veränderungen des Sehvermögens bei manchen Raumfahrern, die vermutlich durch den Druck des ausgedehnten Nervenwassers auf die Netzhaut und den Sehnerv entstehen. Ursache der umfassenden strukturellen Veränderungen im Gehirn sind möglicherweise minimale Druckunterschiede der verschiedenen Wassersäulen im Körper des Menschen durch die Schwerelosigkeit, die sich über die Zeit akkumulieren. Daher gibt es Hinweise für eine Korrelation mit der Aufenthaltsdauer im All. Um die Risiken bei Langzeitmissionen zu minimieren und die allgemeine klinische Bedeutung der Befunde zu bestimmen, sind nach Ansicht der Wissenschaftler zusätzliche Studien mit erweiterten diagnostischen Methoden unbedingt notwendig.

The New England Journal of Medicine 2018

Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München