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Wie Hirnstimulationen unsere Bewegungen steuern

Durch ein Hirnstimulations-Experiment fanden Wissenschaftler Hinweise dafür, dass bewusste Intentionen der Bewegungsausführung vorangehen und deren Richtung und Kraft vorgeben

Haben Menschen einen freien Willen? „Das ist eine philosophische Frage, die sich mit naturwissenschaftlichen Methoden unserer Meinung nach wohl nicht beantworten lässt“, meint der Bewegungswissenschaftler Professor Volker Zschorlich von der Universität Rostock. Er ist gemeinsam mit dem Physiologen Professor Rüdiger Köhling dem Phänomen nachgegangen, wie Gedanken Bewegungen verursachen. „Es war ein Zufallsexperiment, das uns zielgerichtet zur Forschung führte, wie durch magnetische Hirnstimulationen Intentionen, also eine bewusste Bewegungsabsicht des Menschen, aufgedeckt werden kann“, sagt Zschorlich, der sich seit über 35 Jahren der Motorikforschung verschrieben hat und fasziniert von den neusten Erkenntnissen ist.

„Durch ein Hirnstimulations-Experiment fanden wir Hinweise dafür, dass bewusste Intentionen der Bewegungsausführung vorangehen und deren Richtung und Kraft vorgeben“. Ohne Bewegungsintention hingegen lassen sich durch die gleichen schwachen Magnetstimulationen nur ungerichtete Muskelzuckungen auslösen, die zudem zu schwach sind, um echte Bewegungen der Hand zu bewirken. Die Studie liefert einen starken Hinweis dafür, dass eine bewusste Bewegungsintention bereits im Verlauf der Bewegungsvorbereitungsphase aufgebaut wird - und zwar vor der Bewegungsausführung.

Das Experiment der beiden Rostocker Wissenschaftler unterstreicht die Bedeutung bewusster Bewegungsintention: „Es gibt zumindest unter unseren Versuchsbedingungen eine bewusste Intention vor der Bewegung“, verdeutlicht Zschorlich. „Das klingt banal, ist aber umstritten“, sagt der Wissenschaftler. Diskutiert wurde sowohl von philosophischer wie auch neurobiologischer Seite unter anderem auch, ob das Gehirn nach oder während der Bewegungsausführung erst eine bewusste Intention konstruiert, quasi eine Erklärung für das Handeln nachliefert. „Der Diskurs geht sogar so weit, dass einige Kolleginnen und Kollegen den freien Willen als Handlungsbasis des Menschen negieren“, weiß Zschorlich. Die Forschung der zwei Wissenschaftler, die innerhalb des interdisziplinären Departments Ageing of Individuals and Society der Universität Rostock kooperieren, deckt einen neuen Ansatz auf dem Weg zum Verstehen des Zusammenhangs zwischen Willen und Handlung auf. Weitergehende Studien belegen allerdings auch: „Es gibt viele externe Einflüsse, die die Motorik beeinflussen“, so Zschorlich über die bereits laufenden Folgeexperimente.

Der Bewegungswissenschaftler kann jetzt nach zweieinhalbjähriger Forschung zumindest nachweisen, dass Menschen vor einer Bewegung des Körpers eine Intention bewusst wahrnehmen“. Diese Ergebnisse, da ist Zschorlich sicher, werden möglicherweise sogar in anderen Bereichen wie der Rechtswissenschaft eine Diskussion auslösen, geht es doch im Strafrecht auch häufig um die Abgrenzung zwischen bewusster Handlung und durch äußere Einflüsse gesteuertes Handeln. Und es gibt einen zweiten Aspekt der Rostocker Forschung, der zeigen wird, wie Motorik am Menschen funktioniert. Wenn Menschen durch schwere Infarkte, Blutungen, Verletzungen oder degenerative Erkrankungen des Gehirns oder des Hirnstamms ihre Körperbewegungen nicht mehr kontrollieren und mit der Umwelt nicht mehr kommunizieren können, besteht die Herausforderung, die Beziehung zwischen Intention und Bewegungsausführung zu verstehen“, sagt Zschorlich. Das ist der Weg, damit diese Patienten irgendwann über technische Hilfsmittel sich wieder bewegen können. Das renommierte internationale Online-Wissenschaftsjournal PLOS ONE hat die Forschungsergebnisse der zwei Rostocker Professoren soeben veröffentlicht.

Langfristiges Ziel der der Rostocker Forscher ist es, „die Grundlagen dafür zu erarbeiten, durch bewusste und absichtsvolle Gedanken hervorgerufene Hirnaktivität zielgerichtet zum Beispiel in Steuersignale für technische Hilfsmittel umzuwandeln, damit bewegungseingeschränkte Patienten mit der Umwelt kommunizieren und einfache Handlungen selber auszuführen können. Bisher gelingt dies nicht sehr spezifisch und vergleichsweise langsam; die Hoffnung ist, dass die jetzt eingesetzte Technik die Prozesse deutlich beschleunigen kann. (Text: Wolfgang Thiel)

Quelle: Universität Rostock