Das Risiko, Opfer eines gewalttätigen Verbrechens zu werden, ist in Deutschland sehr niedrig. Die meisten Menschen geraten nie in gewalttätige Situationen. Für den Ausnahmefall sowie auch für den Abbau von Kriminalitätsfurcht kann es dennoch hilfreich sein, auf solche Situationen gedanklich vorbreitet zu sein. Einzelne Tatsituationen sowie auch Täter und Opfer sind allerdings sehr unterschiedlich, weswegen es keine Patentrezepte für die Bewältigung jeglicher Aggression und Gewalt gibt. Was in einzelnen Situationen hilft, muss sich in anderen Fällen nicht in gleicher Weise bewähren. Was das einzelne Opfer zu leisten vermag, kann den anderen überfordern. Verschiedene Verhaltensweisen haben sich jedoch im Hinblick auf eine deeskalierende und waffenlose Konfliktvermeidung bewährt.
In vielen Fällen kann man einer Konfrontation mit aggressiven Personen bereits durch vorausschauendes Verhalten, z.B. durch rechtzeitiges Wechseln der Straßenseite oder Vermeiden von schlecht beleuchteten und wenig belebten Orten, aus dem Weg gehen. Es ist stets vorzuziehen, eine Auseinandersetzung zu vermeiden, sich nicht in Gefahr zu bringen und falls erforderlich, die Hilfe Dritter zu holen. „Ist man jedoch unmittelbar aggressivem Verhalten ausgesetzt, so ist es wichtig, möglichst ruhig zu bleiben, sich selbstbewusst zu geben und keine Gefühle zu zeigen. Auch sollte man sich nicht auf den Täterplan einlassen und auf Provokationen oder Beschimpfungen eines aggressiven Menschen eingehen“, rät Dr. Christa Roth-Sackenheim vom Berufsverband Deutscher Psychiater (BVDP) mit Sitz in Krefeld. „Vermieden werden sollte ebenfalls eine herablassende arrogante Haltung sowie auch Drohungen – insbesondere wenn man diese nicht durchsetzen kann. Unvorteilhaft sind darüber hinaus ein ängstlicher oder unsicherer Eindruck.
Sachlich und neutral Grenzen setzen
Man kann eine aggressive Person durchaus unmissverständlich, darauf hinweisen, dass man zu dichtes Herantreten oder körperlichen Kontakt nicht wünscht. Dabei sollte der Täter mit «Sie» angesprochen werden, um ihm distanziert und neutral zu begegnen sowie auch, um eine persönliche Vereinnahmung zurückzuweisen. Außenstehenden signalisiert man zugleich, dass man von einem Fremden belästigt oder bedroht wird. „Einen Anlass zu Eskalation solle man grundsätzlich nicht geben und es beispielsweise vermeiden, das Gegenüber physisch oder psychisch in die Enge zu drängen. Auch dauernden Augenkontakt sowie ein Zugehen auf die Person gilt es zu vermeiden, da dies als Provokation gewertet werden kann“, fügt die Psychiaterin und Psychotherapeutin hinzu. „Einem aggressiven Menschen sollte man darüber hinaus grundsätzlich die Möglichkeit offenhalten und ihm auch erlauben, aus der Situation fliehen zu können“. Gut ist es, die Person weiterhin im Auge zu behalten und gegebenenfalls die Polizei zu informieren. Auch die Körpersprache ist wichtig. Durch die eigene Körperhaltung sollte man weder signalisieren, dass man angriffslustig ist noch einen Angriff erwartet – auch sollte man ihr nicht den Rücken zukehren oder überhastet weggehen. Weil aggressive Personen von ihren Opfern oftmals ein bestimmtes Verhalten erwarten, kann es helfen, sie mit einer unerwarteten Aktion aus dem Konzept zu bringen. Denkbar ist beispielsweise ein Handytelefonat vorzutäuschen, plötzliche Übelkeit zu simulieren oder auch laut das Singen anzufangen.
Umstehende aktiv zu Hilfsmaßnahmen mobilisieren
Jeder Mensch hat die Möglichkeit, etwas Hilfreiches zu tun, auch ohne in direkte Konfrontation mit dem Täter zu geraten. Zuschauer greifen allerdings oft selbst nicht ein, wenn andere dies auch nicht tun oder sie nicht wissen, wie sie Hilfe leisten sollen. Durch Neugierverhalten können sie die Situation sogar anheizen. „Es sollte jede Möglichkeit genutzt werden, andere Menschen in die Situation mit einzubeziehen. Umstehende Personen sollten dann am besten direkt angesprochen werden, wenn man von ihnen Hilfe wünscht. Sätze wie «Hier ist etwas nicht in Ordnung, hier muss was getan werden» oder «Holen Sie Hilfe» können andere Menschen gezielt aktivieren“, rät Dr. Roth-Sackenheim. Kommt es zur Anwendung von Gewalt, kann man durch lautes Schreien auf sich aufmerksam machen. Es sollte dann jede Chance zur Flucht ergriffen werden, möglichst an einen Ort, an dem sich andere Menschen aufhalten. Der Einsatz von Selbstverteidigungstechniken gilt eher als problematisch, da er zu unüberlegten Verhaltensweisen führen kann, andere Alternativen außer Acht lässt und den Einsatz komplexer Verhaltensmuster erfordert, die in emotional aufgeladenen Situationen meist nicht abrufbar sind. Bei sexuellen Übergriffen zeigt die Statistik jedoch, dass massive körperliche Gegenwehr oft zum Tatabbruch führt.
Angst ist ein wichtiges und notwendiges Gefühl, um in Gefahrensituationen rasch und agil zu reagieren. Ständige Angst bzw. Kriminalitätsfurcht die zum Rückzug und zur Isolation führt ist jedoch problematisch und man sollte sich professionelle Hilfe suchen, wenn man darunter leidet. Man sollte sich bewusstmachen, dass das persönlich Opferrisiko sehr niedrig ist. Die allgemeine Kriminalitätsfurcht variiert stark mit dem Lebensalter und dem Geschlecht. Am häufigsten fühlen sich ältere Menschen unsicher sowie Frauen, obwohl ihr Risiko, Opfer einer kriminellen Tat zu werden, tatsächlich eher gering ist. Man spricht hierbei von einem „Kriminalitätsfurcht-Paradoxon“, weil sich die subjektiv wahrgenommene Sicherheit gegenläufig zum objektiven Risiko verhält. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung jedoch ist gar nicht oder nur kaum von Kriminalitätsfurcht betroffen.
Quellen:
- Kurzanleitungen zum Handeln in Gewalt und Gefahrensituationen, Förderverein Berghof Peace Education / Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V., www.friedenspaedagogik.de
- Der Deutsche Viktimisierungssurvey 2012: www.mpicc.de/files/pdf3/a7_2014_Viktimisierungssurvey_2012.pdf
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