Bereits bekannt ist der Zusammenhang zwischen hohem Aggressionspotenzial und einer Variante des MAOA-Gens. Besonders im Zusammenspiel mit Umweltfaktoren, wie etwa frühkindlicher Traumatisierung, kann sich das aggressive Verhalten äußern. Dr. rer. medic. Benjamin Clemens zeigt nun erstmals, welchen Einfluss das MAOA-Gen auf das Gehirn im Ruhemodus hat. Für seine Arbeit wurde er auf der 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) mit dem Niels-A.-Lassen-Preis ausgezeichnet.
Ein wichtiges Gen im Zusammenhang mit Aggression ist das Monoaminooxidase-A (MAOA-) Gen, genauer gesagt die weniger aktive Variante davon. Diese Erkenntnis hatte sogar schon strafrechtliche Bedeutung: 2009 erhielt ein verurteilter Mörder eine reduzierte Haftstrafe, weil die weniger aktive MAOA-Variante bei ihm nachgewiesen wurde. Das MAOA-Gen steuert die Aktivität eines Enzyms, welches wiederum Botenstoffe wie Serotonin und Noradrenalin abbaut, nachdem diese ihre Arbeit im Gehirn getan haben. Liegt die inaktiviere Variante des MAOA Gens vor, wird weniger Enzym produziert, was zu einem Überschuss dieser Stoffe im Gehirn führt. Dieser Überschuss beeinflusst die Aktivität verschiedener Hirnareale, und kann so auch Aggressionen begünstigen.
Genetische Ausstattung führt nicht zwangsläufig zu Gewalt
„Diese Genvariante alleine macht aber nicht zwangsweise aggressiv“, betont Dr. Benjamin Clemens von der Sektion Neuropsychologie der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der RWTH Aachen. Das sei insofern beruhigend, als das diese MAOA-Variante bei zirka 40 Prozent aller westeuropäischen Menschen vorkommt. „Umweltfaktoren, wie etwa eine Traumatisierung, Frustration oder Provokation können aber mit dieser genetischen Veranlagung interagieren, und so die Wahrscheinlichkeit von aggressivem Verhalten stark erhöhen“, so der DGKN-Experte.
In seiner preisgekrönten Studie hat Dr. Clemens mehr als 50 friedfertige Studenten mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) untersucht. Dabei war er besonders an den Ruhe-Netzwerken interessiert, die das Gehirn steuern wenn Menschen keinen äußeren Reizen oder Aufgaben ausgesetzt sind. Im MRT zeigten diejenigen mit der inaktiveren MAOA-Genvariante – dies betraf etwa die Hälfte der Probanden – eine geringere Aktivität in verschiedenen Arealen, die für kognitive Kontrolle, Aufmerksamkeit und Steuerungsunktionen (Planen, Denken, Problemlösen) verantwortlich sind. „Das Gen entfaltet seine Wirkung auf das Gehirn also bereits ohne äußere Einwirkung. Wir konnten mit unserer Studie jetzt erstmalig nachweisen, dass auch der Ruhemodus des Gehirns durch das MAOA-Gen beeinflusst wird“, erklärt Dr. Clemens. In Zukunft soll ein besseres Verständnis der neurobiologischen Mechanismen der Aggression dabei helfen, spezifische Bio-Marker zu entwickeln. Diese ermöglichen, Patienten mit bestimmten genetischen Varianten zu identifizieren, die eventuell mit mehr Aggressivität in Verbindung stehen. „Psychiatrischen Patienten mit pathologischer Aggression könnten wir durch dieses Wissen spezialisierte Therapiekonzepte ermöglichen.“
Das Ergebnis seiner Arbeit habe aber nicht nur geholfen, die Entstehung von Aggressionen besser zu verstehen. „Die Ergebnisse haben auch einen entscheidenden Einfluss auf die Durchführung von Experimenten bei gesunden und neuropsychiatrisch kranken Patienten“, so Professor Dr. med. Alfons Schnitzler, Kongresspräsident der 60. Jahrestagung der DGKN. Denn hier nutzen Forscher Ruhenetzwerke zunehmend um die neuronalen Effekte einer bestimmten Therapie oder krankheitsspezifische Unterschiede zwischen Gesunden und Patienten nachzuweisen. „Die MRT-Studie von Dr. Clemens zeigt, dass Gen-Varianten, wie etwa die des MAOA-Gens, bei der Auswertung von Hirnaktivitätsmustern berücksichtigt werden müssen“, begründet Schnitzler die Vergabe des Niels-A.-Lassen-Preises an den jungen Wissenschaftler.
Literatur:
Clemens B. et al: Effect of MAOA Genotype on resting-state networks in healthy participants, 2015, Cerebral Cortex, 25: 1771–1781, doi: 10.1093/cercor/bht366
Quelle: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften