Das deutsche Gesundheitswesen macht es den Patienten zuweilen schwer: Der Gang zum Facharzt führt stets über den Hausarzt, anonyme Beratungsmöglichkeiten fehlen, und oft sind die Zuständigkeiten unter den ärztlichen Disziplinen und Einrichtungen nur unzureichend geklärt. "Besonders für Patienten, die bei sich eine psychische Störung vermuten, erhöhen diese Faktoren die Hemmschwelle, zum Arzt zu gehen", sagt Karolina Leopold von der Dresdner Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. An der Klinik wurde daher vor fast fünf Jahren das psychiatrische Früherkennungszentrum "DD früh dran" unter der Leitung von Andrea Pfennig und Karolina Leopold gegründet. Wie dieses niederschwellige Angebot gestaltet ist und wie es von den Patienten angenommen wird, berichten Leopold und ihre Kollegen in der Fachzeitschrift "Psychiatrische Praxis" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2013).
Mit ihrem Beratungsangebot wollen die Dresdner Mediziner Jugendlichen und Erwachsenen zwischen zwölf und 40 Jahren die Möglichkeit geben, bereits bei den ersten Symptomen einer möglichen psychischen Erkrankung schnell professionelle Hilfe zu erhalten. Da mögliche Patienten bereits in einem Vor- oder Frühstadium erreicht werden sollen, sprechen Leopold und ihre Kollegen auch von einer Präventionsambulanz. "Je früher eine Störung erkannt und behandelt wird, desto besser ist der Behandlungserfolg", betont das interdisziplinäre Dresdner Team, das sich aus Psychiatern, Kinder- und Jugendpsychiatern, Psychologen, Sozialarbeitern und einer Informatikerin zusammensetzt.
Um möglichst alle Hemmschwellen abzubauen, sichert das Zentrum bei Bedarf Anonymität zu. Eine Überweisung ist nicht nötig. Die Klienten können sich per Telefon, per Mail oder auch im persönlichen Kontakt direkt an das Zentrum wenden - bereits innerhalb einer Woche wird dann ein erster Beratungstermin angeboten.
In der nun veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeit analysieren Karolina Leopold und ihre Kollegen sämtliche Erstkontakte und Diagnosen in einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren. In dieser Zeit stellten sich insgesamt 192 Personen im durchschnittlichen Alter von 25 Jahren in dem Dresdner Zentrum vor. Bei sechs Prozent dieser Personen ergab sich kein Behandlungsbedarf, sieben Prozent wurden direkt in die psychiatrische Regelversorgung weitervermittelt, den übrigen 87 Prozent wurden weitere diagnostische Kontakte angeboten. Von diesen wiederum durchliefen 89 Prozent die individuelle Diagnostik komplett. Die Diagnosen des Dresdner Teams reichten letztlich vom Ausschluss einer psychiatrischen Erkrankung bis hin zur manifesten psychischen Störung. Letzteres betraf immerhin 73 Prozent der Patienten, die meist Depressionen und Angststörungen aufwiesen. Jeder dritte Hilfesuchende erfüllte die (Ultra-)Hochrisiko-Kriterien für die Entwicklung einer Psychose und/oder bipolaren Störung.
Während rund die Hälfte der Klienten aus der Regelversorgung an "DD früh dran" weiterverwiesen worden war, kam die andere Hälfte als "Selbstvorsteller" aus eigenem Antrieb. Karolina Leopold freut sich besonders über die 61 Prozent der Selbstvorsteller, die zuvor noch keinen Kontakt zu Psychiatern hatten - immerhin handelt es sich dabei um Menschen, die ohne das Zentrum womöglich nicht oder erst sehr viel später den Weg zum Arzt gefunden hätten. "Die Früherkennung und Frühintervention stellt einen wesentlichen Bestandteil psychiatrischer Versorgung dar", resümiert die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie - ein Angebot, das in Deutschland unbedingt weiter ausgebaut werden sollte.
K. Leopold et al.: Früherkennungszentren für psychische Erkrankungen - ein Komplementärangebot der psychiatrischen Regelversorgung in Deutschland, Psychiatrische Praxis 2013; 40 (5); S. 264-270
Quelle: Pressemitteilung FZMedNews, Thieme