Bipolare affektive Störungen, auch manisch-depressive Störungen genannt, sind schon seit der Antike bekannt. Das Lebenszeitrisiko daran zu erkranken liegt in der Allgemeinbevölkerung bei circa ein Prozent. Es gibt allerdings auch Familien, bei denen die Erkrankung über Generationen hinweg stark gehäuft auftritt. Hier wurde bislang immer vermutet, dass einzelne Mutationen mit einer großen Effektstärke für die Erkrankung verantwortlich sind.
Forscherinnen und Forscher des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, des biomedizinischen Forschungsinstituts IBIMA in Málaga, Spanien, des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie und des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität, jeweils in München, sowie des Universitätsklinikums Bonn haben nun gemeinsam eine Studie zu den genetischen Ursachen der bipolaren Störung in betroffenen Familien durchgeführt. Sie haben herausgefunden, dass auch in Familien, bei denen über mehrere Generationen hinweg sehr viele Familienmitglieder von der Erkrankung betroffen sind, häufig vorkommende genetische Risiko-Varianten eine wichtige Rolle spielen. Selbst in solch mehrfach betroffenen Familien haben also auch die genetischen Varianten, die grundsätzlich jeder Mensch in sich trägt, einen deutlichen Einfluss auf das Krankheitsrisiko. Dies steht im Gegensatz zur früheren Annahme, dass in betroffenen Familien seltene Genmutationen als Hauptrisikofaktoren für eine bipolare Erkrankung gelten.
Spielt die Anhäufung von risikoreichen Genvarianten die entscheidende Rolle?
„Wir hatten schon seit längerem vermutet, dass die häufigen Varianten eine wesentliche Rolle spielen, nachdem wir vor einigen Jahren erstmals bei einigen wenigen betroffenen Familienmitgliedern eine Häufung solcher Risikovarianten beobachtet hatten“ sagt Prof. Dr. Marcella Rietschel, Wissenschaftliche Direktorin und Leiterin der Abteilung Genetische Epidemiologie in der Psychiatrie am ZI. Nun konnten die Forscher bei der systematischen Untersuchung zeigen, dass sich Risikovarianten in den betroffenen und nicht betroffenen Mitgliedern aus über 30 mehrfach betroffenen Familien ansammelten. Selbst die nicht betroffenen Familienmitglieder wiesen im Vergleich zu unverwandten Gesunden eine erhöhte Anzahl häufiger Risikovarianten auf. Die betroffenen Familienmitglieder zeigten die höchsten Risikowerte, die die durchschnittlichen Risikowerte in einer unabhängigen Gruppe von unverwandten Personen mit einer bipolaren Störung deutlich übertrafen.
Welche Faktoren schützen trotz genetischem Erkrankungsrisiko?
„Unsere ursprüngliche Erwartung in diesen hoch belasteten Familien relativ einfach einige wenige kausale Krankheitsmutationen zu finden, hat sich so leider nicht erfüllt. Auch wenn es möglich ist, dass eine Ballung von vielen kleinen Risikovarianten das Krankheitsrisiko erklärt, kann trotzdem nicht ausgeschlossen werden, dass auch seltenere Varianten mit größeren Effekten in diesen Familien eine Rolle spielen. Nach diesen werden wir weiterhin suchen“, sagt Rietschel. „Außerdem interessiert uns nun, welche Faktoren solche Familienmitglieder gesund halten, die trotz einer hohen Belastung an Risikovarianten nicht erkrankten und umgekehrt“, sagt Dr. Fabian Streit, Mitarbeiter in der Abteilung für Genetische Epidemiologie in der Psychiatrie am ZI.
Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift „Molecular Psychiatry“ veröffentlicht.
Bipolare Störung ist eine psychische Erkrankung, bei der extreme Stimmungsschwankungen auftreten. Betroffene pendeln dabei zwischen Phasen der Niedergeschlagenheit und der Hochstimmung (Depression und Manie), ohne diese Wechsel selbst kontrollieren zu können. Bipolare Störungen gehören laut Weltgesundheitsorganisation zu den Krankheiten, die weltweit am meisten zu dauerhafter Beeinträchtigung führen. Betroffene weisen auch ein erhöhtes Suizidrisiko auf.
Originalpublikation:
„Bipolar multiplex families have an increased burden of common risk variants for psychiatric disorders.” Andlauer TFM, Guzman-Parra J, Streit F (…) Rietschel M. Mol Psychiatry. 2019 Nov 11. Doi: 10.1038/s41380-019-0558-2. www.nature.com/articles/s41380-019-0558-2
Quelle: Zentralinstitut für Seelische Gesundheit auf idw