Der Tod einer nahestehenden Person bedeutet einen tiefen Lebenseinschnitt für die Hinterbliebenen. Trauer ist dabei eine ganz normale Reaktion auf den Verlust. Doch bei fünf bis zehn Prozent der Trauernden dominiert der Verlust auch nach geraumer Zeit den Alltag so sehr, dass Fachleute dann von einer Anhaltenden Trauerstörung im Sinne einer psychischen Erkrankung sprechen. Unter Leitung von Psychologinnen und Psychologen der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) wird bundesweit in mehreren Behandlungszentren eine spezielle Form der Psychotherapie bei dieser Erkrankung erprobt – mit vielversprechenden Zwischenergebnissen.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat die Förderung des Projektes PROGRID (Prolonged Grief Disorder) gerade noch einmal verlängert, so dass für Betroffene weiterhin Gelegenheit dafür besteht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
„Trauer ist eine ganz normale Reaktion, die alle Menschen im Lauf ihres Lebens erfahren. Dabei wird die Bindung zu einer verstorbenen Bezugsperson gewissermaßen neu aufgestellt. Das ist ein hochindividueller Prozess, der in der Regel nicht behandelt wird“, erläutert Dr. Anna Vogel. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Lehrstuhls für Klinische und Biologische Psychologie an der KU und stellvertretende Leiterin der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz in Ingolstadt. „Es gibt keine allgemeingültigen Ratschläge für den Umgang mit Trauer. Gut ist das, was jedem selbst guttut. Fest steht: Wenn man bei Trauer psychotherapeutisch zu früh einschreitet, kann dies genau das Gegenteil bewirken und den Trauerprozess sogar verlängern!“ Auch wenn hierzulande immer wieder von einem Trauerjahr gesprochen werde, nach dem die Gedanken rund um die verstorbene Person angeblich weniger im Vordergrund sein sollen, sei dies kein allgemeingültiger Zeitrahmen. Selbst Jahre später gebe es sogenannte Trauerspitzen, etwa zu Jahrestagen.
Im Vergleich dazu hat die Anhaltende Trauerstörung jedoch einen grundlegend anderen Charakter. „Wir sprechen davon, wenn auch nach mehr als sechs Monaten der Tod des oder der Angehörigen den Alltag bestimmt und die eigene Lebensführung signifikant einschränkt – indem sich die Hinterbliebenen etwa weiterhin zurückziehen, die Sehnsucht nach der verstorbenen Person täglich als quälend erlebt wird, ihr Zimmer unangetastet bleibt oder über sie so berichtet wird, als ob sie immer noch leben würde.“ Auch Extreme zum Beispiel im Hinblick auf das Grab der Verstorbenen begegnen den Psychologinnen und Psychologen in ihrer Praxis zur anhaltenden Trauer: Manche Hinterbliebenen gehen auch nach langer Zeit dreimal täglich ans Grab, andere meiden den Friedhof komplett, weil dieser Ort nicht ertragbar scheint.
Die Grenzen zu einer Depression sind – wie Vogel erläutert – teilweise fließend und setzen eine genaue Diagnostik voraus. Identisch zu einer Depression sind Symptome wie etwa das Gefühl, keinerlei Freude mehr empfinden zu können und wie betäubt zu sein. Im Unterschied zur Depression sind jedoch Konzentrationsstörungen, Schlaflosigkeit oder gar Suizidgedanken eher untypisch für eine Anhaltende Trauerstörung. Zudem helfen, wie verschiedene Studien gezeigt haben, keine Medikamente gegen komplizierte Trauer.
Dass die Anhaltende Trauerstörung erst vor kurzem als psychische Erkrankung in die Systematik der Weltgesundheitsorganisation aufgenommen wurde, zeigt, wie komplex die Materie ist: „Es geht nicht darum die Trauer per se zu pathologisieren! Zudem hat die Forschung lange gebraucht, um präzise zwischen einer Depression bzw. einer Posttraumatischen Belastungsstörung und anhaltender Trauer differenzieren zu können“, so Vogel. International gehe man in der Wissenschaft davon aus, dass die besonderen Umstände der Pandemie zu einem Anstieg der Anhaltenden Trauerstörung führen werde. „Betroffene schildern uns, wie belastend es für sie war, sich nicht von Sterbenden verabschieden oder eine Beerdigung nur im engsten Kreis abhalten zu können. Hinzu kommt, dass viele Hilfsangebote für Trauernde pandemiebedingt nicht möglich waren.“
Die anhaltende Trauer als psychische Erkrankung sei nicht auf ältere Menschen beschränkt, so dass das Angebot der Forscherinnen und Forscher für alle Personen ab 18 Jahren offen ist. Vor der eigentlichen Therapie finden mehrere Vorgespräche statt, um genau zu diagnostizieren, ob eine Anhaltende Trauerstörung vorliegt. Die eigentliche Behandlung dauert ca. ein halbes Jahr und umfasst rund 25 Sitzungen, die – wie erste Zwischenergebnisse zeigen – zu einer deutlichen Besserung der Symptome führt. Anlaufpunkt zur Teilnahme an der PROGRID-Studie sind Behandlungszentren in Ingolstadt, München, Frankfurt, Marburg und Leipzig.
Weitere Informationen finden sich unter http://www.trauer-therapie.de.
Betroffene können sich auch direkt wenden an:
Psychotherapeutische Hochschulambulanz der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU)
Dr. Anna Vogel
Levelingstr. 7
85049 Ingolstadt
Tel.: 0841/93721956
Mail: anna.vogel@ku.de>anna.vogel@ku.de
Quelle: Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU)