Die niedergelassenen Ärzte in Deutschland akzeptieren die minimale Erhöhung des Honorars um 0.9% - die damit nicht einmal die Inflation auffängt - nicht und organisieren daher bundesweite Protestaktionen. So werden die niedergelassenen Kardiologen alle Patienten mit akutem Vorhofflimmern und anderen akuten Herzerkrankungen umgehend in die Kliniken überweisen, anstatt sie ambulant zu behandeln. Die hausärztlich tätigen Allgemeinmediziner und Pädiater werden die Arbeitszeiten auf das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß reduzieren. Bei drohender Gefährdung eines Menschen im Krankheitsverlauf wird zur Abwehr eines Schadens vermehrt auf stationäre Behandlungsoptionen abgestellt. Anfragen von gesetzlichen Krankenkassen werden - wenn überhaupt - nur nachrangig behandelt. Viele Mediziner haben angekündigt, ihre Praxen ganz zu schließen. Auch in den gynäkologischen Praxen werden lange Wartezeiten erwartet. „Patientinnen, die häufig kontrolliert werden müssen, sollten sich am besten gleich in die stationäre Behandlung begeben, da wir dafür in den kommenden Tagen und Wochen keine Zeit haben werden“, rät Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF). Gleiches gilt auch für Patienten mit Hörsturz oder Schwindelsymptomen, die bei HNO-Ärzten vorstellig werden wollen. Die niedergelassenen Lungenärzte werden keine Sauerstoffpatienten mehr einstellen, und auch Patienten mit Schlafapnoe - einer Erkrankung unter der häufig viele LKW-Fahrer leiden - werden nicht mehr ambulant behandelt. „Auch die Spiegelung der Lunge sollte unter diesen Bedingungen stationär und nicht ambulant erfolgen. Alle diese Leistungen werden schon im jetzigen System so gut wie nicht vergütet – das wird bisher von uns kostenlos zum Wohle unserer Patienten erbracht. Und die Bürokraten in den Kassen verhindern angemessene Lohnzuwächse - das ist unglaublich“, kritisiert Dr. Andreas Hellmann, Vorsitzender des Bundesverbandes der Pneumologen (BdP). Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) forderte daher in den Verhandlungen eine Erhöhung der Honorare bei den Kassenärzten um 11%.
Das System der kranken Kassen
Die niedergelassenen Ärzte sind vor allem deshalb besonders empört über die unverschämten Forderungen der Krankenkassen nach Honorarkürzungen, weil diese selbst einen sehr großen Teil der Kosten im Gesundheitssystem ausmachen. Neben den offiziell angegebenen Verwaltungskosten in Höhe von 9,5 Milliarden Euro kommen laut einer aktuellen Studie noch 18 Milliarden Euro an Verwaltungsaufwand hinzu, die die Krankenkassen zusätzlich bei Apothekern, Krankenhäusern und in Arztpraxen verursachen. Der Untersuchung zufolge entfielen im Jahr 2011 15,6% der Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) in Höhe von 175 Milliarden Euro auf die Bürokratie. Zum Vergleich - in der deutschen Industrie beträgt der Verwaltungsanteil nur ein Drittel davon. Laut dieser Studie fließen von jedem im Gesundheitssystem ausgegebenem Euro 23 Cent in die Verwaltung – nicht in die Gesundheit. In Deutschland gab es im Jahr 1993 sage und schreibe noch 1367 gesetzliche Krankenkassen, die teilweise nur wenige tausend Versicherte betreuten. Knapp 20 Jahre später ist dieser Verwaltungsapparat noch immer gewaltig. 145 gesetzliche Krankenkassen sind aktiv, d.h. 145 Verwaltungseinheiten, die große Kosten im Gesundheitssystem verursachen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Honorare derjenigen, die täglich Patienten versorgen und damit gemeinsam mit diesen die Leistungserbringer im System sind, lohnt sich ein Blick auf die Bezüge der „Verwalter“.
Fürstliche Gehälter der KassenbosseDie Vergütungen der Vorsitzenden, Vorstände und Geschäftsführer der gesetzlichen Krankenkassen sind hoch – teilweise sehr hoch. So liegt das Jahresgehalt des Vorstandsvorsitzenden der Techniker Krankenkasse (TK) bei 283.445,76 € - der stellvertretende Vorsitzende erhält fast 200.000 €. Nicht viel anders sehen die Bezüge bei den anderen Krankenkassen aus. Bei der Barmer GEK erhalten Vorstandsmitglieder 221.666,69 €, die KKH-Allianz zahlt ihrem Vorstandsvorsitzenden 194.014 €, zuzüglich Bonuszahlungen und Dienstwagen versteht sich. Und auch bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) belaufen sich die Bezüge in den gehobenen Positionen zwischen 111.000 € (AOK Sachsen-Anhalt) und mehr als 180.000 € (AOK Bayern und Baden-Württemberg). Dazu kommen natürlich auch zusätzliche Organisationen, wie der AOK Bundesverband, der Verband der Ersatzkassen und z.B. der so genannte GKV-Spitzenverband, der die Interessen dieser vielen Krankenkassen bündeln soll. Deren Verbands-Vize Johann-Magnus von Stackelberg steht laut Bundesanzeiger mit 220.000 € auf dem Lohnzettel der Organisation und damit deutlich über der Honorierung, die er selbst als „Überbezahlung“ der Ärzte kritisiert.„Es ist schon abenteuerlich, dass in Deutschland die Verwalter mehr Einfluss und offensichtlich auch mehr Geld verdienen, als diejenigen, die die Leistungen erbringen. Das sind zum einen die Patienten, die Versicherungsbeiträge zahlen – zum anderen die Ärzte, die täglich in den Praxen diese Patienten gut versorgen. Und dem gegenüber steht ein völlig aufgeblähtes System von gesetzlichen Krankenkassen. Man muss sich das mal vorstellen –mehr als 1.000 dieser Organisationen sind in den letzen 20 Jahren verschwunden – ohne, dass dies irgendwelche Auswirkungen auf die Versicherten hatte. Die Gesamtausgaben für Verwaltung im Gesundheitssystem sind dennoch gestiegen. Der gerade veröffentlichte Bericht über die Verschwendungen von Versichertengeldern in diesem System ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir haben noch immer viel zu viele Krankenkassen in Deutschland – und jetzt haben diejenigen, die von dieser Misswirtschaft profitieren, notwendige Honorarzuwächse gestoppt und ein skandalöses Ergebnis erzwungen. Wir fordern das Bundesgesundheitsministerium auf, diesen Beschluss zu beanstanden. Die Krankenkassen und Prof. Jürgen Wasem haben bis Montag Zeit nachzubessern, sonst werden die Streikmaßnahmen unmittelbar beginnen“, warnt Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des Berufsverbandes der HNO-Ärzte, der zusammen mit 14 ärztlichen Berufsverbänden dieses Aktionsbündnis unterzeichnet hat. Dirk Heinrich ist auch Vorsitzender des NAV-Virchow-Bundes, der aktuell den Vorsitz bei der Allianz deutscher Ärzteverbände hat. Dieser Allianz gehören auch der Hartmannbund, Medi Deutschland, der Bundesverband der Ärztegenossenschaften sowie die Gemeinschaft fachärztlicher Berufsverbände an.
Unterzeichner (in alphabetischer Reihenfolge):Berufsverband der Augenärzte Deutschlands (BVA), Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD), Berufsverband der Frauenärzte (BVF), Berufsverband der HNO-Ärzte, Berufsverband Deutscher Internisten (BDI), Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN), Berufsverband Deutscher Neurologen (BDN), Berufsverband Deutscher Psychiater (BVDP), Berufsverband Deutscher Rheumatologen (BDRh), Bundesverband Niedergelassener Diabetologen (BVND), Bundesverband Niedergelassener Kardiologen (BNK), Bundesverband der Pneumologen (BdP), NAV-Virchow-Bund, Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa)