Laborversuche und Daten aus Untersuchungen von Menschen mit Schizophrenie deuten auf neue Möglichkeiten der Diagnose und individualisierten Behandlung hin. Dabei geht es um die Messung der Konzentration eines an der Genregulation beteiligten Proteins im Blut und darum, dessen Aktivität medikamentös zu beeinflussen. Ein internationales Forscherteam unter Koordination des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) sowie weiterer Partner aus Magdeburg und München berichtet darüber im Fachjournal PNAS.
Schizophrenie ist eine neuropsychologische Erkrankung, die mit Störungen in der Gehirnaktivität einhergeht und sich durch Wahnvorstellungen und kognitive Einbußen äußern kann. Aktuelle Behandlungsmaßnahmen beinhalten in der Regel den Einsatz von Antipsychotika sowie Psycho- und Soziotherapie. Die Krankheit betrifft etwa ein Prozent der Weltbevölkerung, ihre Ursachen sind unbekannt. Bekannt ist allerdings, dass erbliche Veranlagung und bestimmte Umweltfaktoren – etwa traumatische Erlebnisse in frühen Lebensphasen – das Risiko für Schizophrenie vergrößern. Vermutlich spielen „epigenetische Prozesse“ dabei eine zentrale Rolle. Der Begriff beschreibt eine molekulare Maschinerie, welche die Aktivität von Genen – auch „Genexpression“ genannt – in Reaktion auf Umweltbedingungen steuert.
Studien an Mäusen und Menschen
In der aktuellen Studie wurden sowohl Mäuse mit Verhaltensstörungen als auch Menschen mit Schizophrenie untersucht. Die Mäuse waren kurz nach der Geburt von den Muttertieren getrennt worden und dadurch in einer frühen Entwicklungsphase Stress ausgesetzt. Sie entwickelten später Symptome, die in ähnlicher Weise bei einer Schizophrenie auftreten. Molekularer Auslöser der Symptome war ein Überschuss an „Histon-Deacetylase 1“ (HDAC1) in einem Areal der Hirnrinde, das „präfrontaler Kortex“ genannt wird. HDAC1 ist ein an epigenetischen Prozessen beteiligtes Enzym. Im Blut waren die HDAC1-Werte ebenfalls überhöht.
Ähnliche Ergebnisse lieferte eine Untersuchung an fast einhundert von Schizophrenie betroffenen Erwachsenen. Die Studienteilnehmer – sie waren Mitglieder der „PsyCourse-Kohorte“ (www.PsyCourse.de) – wurden über ihre Kindheit und Jugend eingehend befragt. Dabei stellte sich heraus, dass einige von ihnen emotionale Vernachlässigung oder andere ungünstige Lebensumstände erfahren hatten. Für Menschen mit Schizophrenie und solcher Vorgeschichte ist die Prognose für eine erfolgreiche Behandlung recht ungünstig. Analysen zeigten bei ihnen einen erhöhten Spiegel an HDAC1 im Blut.
Ein möglicher Biomarker
„Eine Schizophrenie, die mit Belastungen in der Kindheit zusammenhängt, geht mit einer gestörten Genregulation einher. Das ist ein Ergebnis unserer Studie. Wir sehen zudem, dass HDAC1 eine zentrale Rolle dabei spielt“, sagt André Fischer, Sprecher des DZNE in Göttingen und Professor für Epigenetik neurodegenerativer Erkrankungen an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG. Er weist darauf hin, dass die Konzentration von HDAC1 im Blut möglicherweise als Biomarker dienen könnte: „Dies könnte helfen, jene Patienten mit Schizophrenie zu erkennen, die in frühen Jahren verstörende Lebensbedingungen erfahren haben. Bei diesen Personen sind gängige Behandlungen nicht besonders wirksam. Sie zu identifizieren, wäre ein Schritt in Richtung einer personalisierten Therapie, die auf ihre spezielle Situation zugeschnitten ist. Neben diesem diagnostischen Nutzen könnte die Messung der HDAC1-Werte helfen, die Reaktion auf therapeutische Maßnahmen zu überwachen.“
Bei weiteren Untersuchungen testeten Fischer und Kollegen einen pharmakologischen Ansatz: Mäuse, die in der Frühphase ihrer Entwicklung Stress ausgesetzt waren und schizophrenieartige Symptome aufwiesen, wurden mit „Entinostat“ behandelt. Dieses Medikament wird derzeit in klinischen Studien in Hinblick auf eine Anwendung in der Krebstherapie erprobt. Es ist ein sogenannter Inhibitor, der die Aktivität von HDAC1 blockiert. Diese Behandlung normalisierte weitgehend die Genexpression und linderte Krankheitserscheinungen.
Aussichten für die Therapie
„Man muss sehr vorsichtig sein, wenn man Ergebnisse aus Tierversuchen im Zusammenhang menschlicher Krankheiten interpretiert. Dies gilt besonders für solche komplexen Erkrankungen wie der Schizophrenie“, betont Fischer. „Gleichwohl deuten unsere Daten darauf hin, dass Medikamente, die auf die Genaktivität einwirken, die Symptome einer Schizophrenie möglicherweise lindern können. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Epigenetik ein großes Potenzial für neue therapeutische Wege bietet.“
Originalveröffentlichung:
Sanaz Bahari-Javan et al., HDAC1 links early life stress to schizophrenia-like phenotypes, PNAS, DOI: 10.1073/pnas.1613842114
Quelle: Gemeinsame Pressemitteilung des DZNE und der Universitätsmedizin Göttingen auf idw