Die sieben Jahre dauernde Unterbringung von Gustl Mollath im psychiatrischen Maßregelvollzug hat die Diskussion um Auftrag und Funktion der Forensischen Psychiatrie in der Gesellschaft erstmals seit vielen Jahren in ein anderes Licht gerückt. Wurde die Forensische Psychiatrie bislang in der öffentlichen Wahrnehmung eher dafür gescholten, psychisch kranke, gefährliche Straftäter zu früh und zu leichtfertig zu entlassen, geriet mit der Unterbringung des bis dahin strafrechtlich unbescholtenen Gustl Mollath die Kritik an allzu langen Verweildauern und möglicherweise missverstandenen Sicherungsauftrag in den Vordergrund. Die Forensische Psychiatrie wurde als vermeintliches Vakuum rechtsstaatlicher Kontrolle ausgemacht.
Gustl Mollath war zunächst aufgrund angenommener Gefährlichkeit in die Forensische Psychiatrie eingewiesen worden. Man hatte ihn für schuldig befunden, seine damalige Ehefrau im Rahmen von Ehestreitigkeiten gewürgt und zahlreiche Autoreifen jener Personen aufgestochen zu haben, die er im Zusammenhang mit den (mittlerweile nachgewiesenen) unlauteren Finanzgeschäften seiner damaligen Ehefrau und der Scheidung gesehen hatte. Das Schicksal des Gustl Mollath sorgte auch deshalb für Aufsehen, weil Symptome einer psychischen Störung und völlig sachgemäße Aussagen dicht beieinander lagen. Kritisiert wurde außerdem, dass die Sachverständigen Gutachten nach Aktenlage fertigten, nachdem Herr Mollath von seinem Recht Gebrauch machte, sich nicht untersuchen zu lassen. Die Wiederaufnahme des Falles, der als Lackmusprobe für die Forensische Psychiatrie gelten kann, hat nun als Ergebnis erbracht, dass Herr Mollath seine Frau tatsächlich misshandelt haben soll. Das Gericht ging erneut von einer möglichen wahnhaften Störung mit Realitätsverlust bei Gustl Mollath zur Tatzeit aus und sprach ihn deswegen von seiner Tatschuld frei im Sinne des § 20 StGB. Da das Gericht jedoch gleichzeitig die im ursprünglichen Urteil angenommene Gemeingefährlichkeit verneinte, welche zur Unterbringung in der Forensischen Psychiatrie geführt hatte, steht Gustl Mollath nun eine Entschädigung zu.
Kritik an psychiatrischen Gutachten in Strafverfahren ist nicht erst durch den Fall Mollath erhoben worden. Sie stammt sowohl von Forensischen Psychiatern als auch von Juristen gleichermaßen. Auch die berechtigten Forderungen nach einer Novellierung des psychiat-rischen Maßregelvollzugs haben durch diesen Fall nur neue Aktualität und Dringlichkeit erhalten.
Für die DGPPN ist die Qualifikation von Gutachtern schon sehr lange ein wichtiges Thema: Bereits 2001 hat die Fachgesellschaft das Zertifikat "Forensische Psychiatrie" für Fachärzte eingeführt. Dieses war Vorläufermodell für die später von den Landesärztekammern eingeführte gleichnamige Schwerpunktbezeichnung, die Fachärzte durch den Nachweis forensisch-psychiatrischer Qualifikation und Prüfung erwerben können.
Dennoch sieht die DGPPN dringenden Handlungsbedarf in Bezug auf die Qualifizierung forensischer Gutachter „Wir erleben zurzeit einen Mangel an qualifizierten, erfahrenen forensischen Sachverständigen; Gerichte suchen oft händeringend nach Gutachern. Aus verschiedenen Gründen: Das Fach Psychiatrie und Psychotherapie ist mit einem akuten Ärztemangel konfrontiert. Gleichzeitig erfordert die Sachverständigentätigkeit lange Berufserfahrung. Nicht zuletzt zögern viele Nachwuchspsychiater, eine Gutachtertätigkeit aufzunehmen, da sie hier oft extrem belastenden Themen und schwierigen Erfahrungen auf Opfer- und Täterseite ausgesetzt sind“, erklärt DGPPN-Vorstandsmitglied Professor Jürgen Müller. Aus Sicht der Fachgesellschaft ist der Nachwuchsgewinnung bei den Reformbemühungen daher entscheidende Bedeutung zuzumessen.
Dringender Reformbedarf besteht im Maßregelvollzug vor allem auch bei den rechtlichen Rahmenbedingungen und der Qualitätssicherung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung psychisch kranker Straftäter. Schon im letzten Sommer hatte die DGPPN die Initiative Maßregelreform ins Leben gerufen, um unter Einbezug der politischen, juristischen und fachärztlichen Experten auf die Novellierung des Maßregelrechts hinzuarbeiten. Die Fachgesellschaft weist dabei auf die zentrale Bedeutung der Therapie als Garant für die erfolgreiche Arbeit des Maßregelvollzugs hin. „In einem psychiatrischen Krankenhaus des Maßregelvollzugs werden psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter untergebracht, die zum Zeitpunkt der Tat nicht oder nicht vollständig schuldfähig waren. Die Unterbringung dient mit ihrem Auftrag der Besserung und Sicherung dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren schweren Straftaten und der Resozialisierung der Untergebrachten. Damit kommt der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung der eingewiesenen Patienten maßgebliche Bedeutung für die Rückfallprophylaxe zu. Die Rückfallquote nach einer Behandlung in einer forensischen Klinik (etwa fünf Prozent) liegt weit unter der im allgemeinen Strafvollzug. Diese Therapieerfolge lassen sich jedoch nur mit einer sinnvollen Behandlung mit einer hinreichenden Anzahl von Ärzten und Therapeuten erzielen. Das reformierte Maßregelvollzugsgesetz sollte daher Mindeststandards für die Personalausstattung der forensischen Kliniken definieren“, fordert DGPPN-Präsident Wolfgang Maier.
Weitere zentrale Forderungen der DGPPN sind die bundeseinheitliche Gestaltung des psychiatrischen Maßregelvollzugs, die strikte Kopplung einer Unterbringung in der Forensischen Psychiatrie an schwere, für die Allgemeinheit gefährliche Straftaten, die Beachtung von Verhältnismäßigkeitsaspekten bei der Befristung der Unterbringung und bundeseinheitliche Regelungen bei der Begutachtung durch externe, mit der Behandlung nicht befasste Gutachter zu Fragen des Therapieverlaufs und der Fortdauer oder Beendigung der Unterbringung. Zur Vereinheitlichung von therapeutischen Mindeststandards hat die DGPPN eine Task Force zur Erarbeitung von Behandlungsempfehlungen in der Forensischen Psychiatrie ins Leben gerufen, an der führende Lehrstuhlinhaber, Kliniker und Juristen mitwirken.
Quelle: Pressemitteilung DGPPN