An drei Tagen im Jahr kommt die gesamte Familie zusammen, festliches Essen wird aufgetischt, am Baum brennen die Kerzen und im Radio läuft Tag und Nacht „Last Christmas“. Es ist Weihnachten. Doch „das Fest der Liebe“ hinterlässt bei so manch einem auch Gefühle der Trauer, Erschöpfung und Einsamkeit, vor allem, wenn es zwischen Gänsebraten und Semmelknödeln zum Streit kommt.
Nach den Feiertagen, spätestens aber im Januar, fallen viele Menschen in ein psychisches Loch, sagt Sina Zimmermann, Psychologin aus Köln. „Nach den anstrengenden Weihnachtstagen spürt man eigentlich erst, wie es einem geht. Häufig plagt einen die Erschöpfung.“ Geschenke besorgen, Festessen zaubern, putzen, die Kinder beschäftigen - besonders für Hausfrauen ist die Weihnachtszeit purer Stress. Kommt dazu noch ein Familienzwist in den Feiertagen, ist eine Depression nicht selten, meint Zimmermann. „Das Problem ist auch, dass man zwischen Weihnachten und Silvester schlecht abgelenkt ist. Die meisten haben frei und somit Zeit zum Nachdenken.“
Wollen sich Ehepartner an Weihnachten noch «zusammenrappeln», kommt es laut Psychologin in den Folgemonaten oftmals zu einer Therapie - oder auch zur Trennung. „Für Betroffene ist es immer schwierig und langwierig, den ersten Schritt zu machen und in unserer Praxis anzurufen“, erzählt sie aus ihrem Arbeitsalltag. „Man tut das, wenn der Kopf frei ist.“ Das dauere eben seine Zeit. Generell erreichten Zimmermann und ihre beiden Kolleginnen in der dunklen Jahreszeit vermehrt Anfragen nach Therapien als im Sommer.
Eine Krise an Weihnachten sei allerdings in den meisten Fällen nicht der Auslöser für eine Trennung. Das sieht auch Xaver Büschel,Paar- und Familientherapeut aus Bonn, so: „Eine Krise hat meist eine längere Geschichte und kommt nicht über Nacht.“ Es könne jedoch vorkommen, dass der ein oder andere das Weihnachtsfest als „Wunder“ oder letzten Versuch für die Eherettung ansieht. „Dieses Weihnachtswunder bleibt jedoch meist aus, wie immer bei Wundern.“
Das psychische Loch nach Weihnachten ist nach Ansicht des Kölner Universitätsprofessors und Psychotherapeuten Egon Stephan „ganz normal“. Bei diesem Phänomen handle es sich um die sogenannte „Entlastungsdepression“. Diese könne man mit einer Vorbereitung auf ein Examen vergleichen: „Man arbeitet wie verrückt auf ein Ziel hin.Stellt sich dann Erfolg ein, in diesem Fall das Bestehen des Examens, kommt es anschließend zur Depression.“ Dies hänge mit der Hormonausschüttung des Körpers zusammen.
„Irritiert stellt man fest: Eigentlich müsste es mir gut gehen, aber ich fühle mich schlecht“, sagt der Kölner. Das belaste. „Man versteht sich selbst nicht und kommt ins Grübeln.“ Menschen, die zu Stimmungsschwankungen neigten, seien besonders anfällig für eine „Entlastungsdepression“, erklärt Stephan. „Der weihnachtliche Spruch "himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt" passt also wortgemäß.“