Trennt man einen Nerv, der das Gehirn mit dem Bauchraum verbindet, sinkt das Risiko, an Morbus Parkinson zu erkranken. Dieser Zusammenhang zwischen Bauch und Hirn wurde jetzt von schwedischen Forschern bestätigt. „Die neue Studie stützt die Hypothese, dass die Parkinson-Krankheit im Magen entsteht und sich über die Nervenbahnen ins Gehirn ausbreitet“, kommentiert Professorin Daniela Berg von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) die aktuelle Untersuchung aus Skandinavien. „Die neue Studie hat zwar keine unmittelbaren Konsequenzen für die Therapie, aber sie zeigt uns, dass wir bei der Erforschung neuer Behandlungsoptionen den richtigen Weg eingeschlagen haben“, so die Direktorin der Klinik für Neurologie am Campus Kiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein.
Die Parkinson-Krankheit ist nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Weltweit leben rund 4,1 Millionen Menschen mit ihr – allein in Deutschland sind mehr als 280.000 Personen betroffen. Bei der Parkinson-Krankheit gehen Zellen im Gehirn zugrunde, die für die Steuerung von Körperbewegungen wichtig sind. Den motorischen Symptomen gehen meist jahrelange unbestimmte Symptome voraus, so leiden spätere Parkinson-Patienten etwa doppelt so häufig an Verstopfung und Schlafstörungen wie die Allgemeinbevölkerung.
Modell deutscher Neurologen bestätigt
Die Verbindung zwischen Darm und Gehirn haben Parkinson-Forscher schon länger im Visier. Dieses Modell zum Krankheitsverlauf, die Aszensionshypothese, geht davon aus, dass Parkinson zumindest teilweise im Verdauungstrakt beginnt. Sie wurde maßgeblich von dem Frankfurter Neuroanatomen Professor Heiko Braak entwickelt, der seit 2009 am Zentrum für Biomedizinische Forschung des Uni-Klinikums in Ulm arbeitet. Die Forschungsgruppe um den Direktor der Klinik für Neurologie an der TU Dresden, Professor Heinz Reichmann, konnte sie im Tiermodell bestätigen. Eine Schlüsselrolle spielt das fehlgefaltete Eiweißmolekül Alpha-Synuklein, das sich bei der Parkinson-Erkrankung typischerweise in den erkrankten Gehirnzellen ablagert. Ablagerungen von Alpha-Synuklein entstehen – womöglich durch den Einfluss von Umweltgiften – aber auch im Nervensystem des Magens und des Darms. Von dort aus, so die Hypothese, klettern die Ablagerungen ins Gehirn. Dabei nutzen sie den Vagusnerv und seine Verästelungen wie eine Steigleiter. Frühere Untersuchungen an Mäusen haben gezeigt: Kappt man diesen Nerv, wird der Krankheitsprozess zumindest verlangsamt.
Magengeschwür-Operation bremst die Parkinson-Krankheit
Für die Untersuchung, die aktuell in der Fachzeitschrift „Neurology“ veröffentlicht wurde, nutzten schwedische Forscher eine nationale Gesundheitsdatenbank, um alle Patienten zu finden, die sich einer Vagotomie unterzogen hatten. Bei dieser Prozedur, die früher oft zur Behandlung von Magengeschwüren angewandt wurde, durchtrennen Chirurgen den Vagusnerv, der vom Gehirn in den Bauchraum zieht, um die Produktion von Magensäure zu blockieren. Die Wissenschaftler verglichen dann die Häufigkeit von Parkinson-Erkrankungen unter Patienten, deren Vagusnerv ganz oder teilweise getrennt worden war, mit einer Kontrollgruppe aus der Bevölkerung. Das Ergebnis: Von 9430 Patienten, die eine Vagotomie hinter sich hatten, erkrankten 101 an Parkinson, das entspricht 1,07 Prozent. In der Allgemeinbevölkerung lag die Rate bei 1,28 Prozent.
Nochmals deutlicher wurde dieser Trend, als die Forscher sich auf Patienten konzentrierten, deren Vagusnerv vollständig durchtrennt worden war (im Gegensatz zur Abtrennung einzelner Äste). Gegenüber der Kontrollgruppe war das Risiko, an Parkinson zu erkranken, nach einer vollständigen Vagotomie um 22 Prozent geringer, und wenn der Eingriff bereits mindestens fünf Jahre zurücklag, sogar um 41 Prozent. Ganz ähnliche Ergebnisse hatte bereits zwei Jahre zuvor eine dänische Arbeitsgruppe veröffentlicht, nachdem man sämtliche 14.883 Vagotomien des Landes zwischen den Jahren 1977 und 1995 ausgewertet hatte.
Verständnis des Krankheitsverlaufs führt zu neuen Therapieansätzen
„Auch wenn wir zum jetzigen Zeitpunkt noch keine neue Therapie anbieten können, wird ein besseres Verständnis des Verlaufs des Zelluntergangs langfristig natürlich auch den Patienten zugutekommen, weil wir Parkinson früher behandeln können. Darüber hinaus werden neue Therapieansätze im Rahmen von Studien angeboten, die die Ausbreitung des fehlgefalteten Eiweißes verhindern sollen. Der Erfolg dieser Therapieansätze muss natürlich abgewartet werden“, so Professorin Daniela Berg.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.