Sich seinen Ängsten in einer sicheren Umgebung und unter Kontrolle von erfahrenen Therapeuten stellen: Das ist die Voraussetzung für die Expositionstherapie, die bei vielen Angsterkrankungen eingesetzt wird. Über verschiedene Medien – am Computer oder inzwischen auch in der virtuellen Realität – werden dabei Patientinnen und Patienten, die beispielsweise an einer Spinnenphobie oder an Höhenangst leiden, wiederholt mit dem angstauslösenden Objekt oder der Situation konfrontiert. Ziel ist es, einen Lernprozess in Gang zu setzen, der dem Betroffenen verdeutlicht, dass die Situation harmlos ist. Allerdings brechen 12-15 % der Angstpatienten die Expositionstherapie ab oder verweigern sie. Bei 20-30 % treten Rückfälle auf.
Behandlungserfolg könnte gesteigert werden
Ein Forscherteam um Prof. Dr. Andreas Mühlberger und Dr. Youssef Shiban vom Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Regensburg konnte nun in einem Grundlagenexperiment zeigen, dass die Rückfallquote sinkt, wenn die Frequenz der Präsentation eines unangenehmen Reizes während der Extinktion kontinuierlich reduziert wird (graduelle Extinktion) anstatt, dass der aversive Stimulus abrupt verschwindet. Für die Therapie könnte das bedeuten: Wenn die angstauslösenden Objekte und Situationen im Verlauf der Behandlung mit kontinuierlich abnehmender Aversivität erlebt werden, könnte es einen größeren Behandlungserfolg geben.
Im Studienablauf wurde Angst auf einen Reiz zunächst erlernt
Für ihre Untersuchungen führten die Regensburger Forscher Experimente durch, an denen insgesamt 31 gesunde Probanden teilnahmen. Die Probanden wurden zufällig einer von zwei Untersuchungsgruppen – einer Gruppe für das Standardverfahren und einer für die graduelle Extinktion – zugeteilt. Als Methode wurde ein Konditionierungsparadigma gewählt. Während einer sogenannten Akquisitionsphase wurde bei den Probanden durch die wiederholte Paarung eines neutralen Reizes mit einem unangenehmen Reiz eine Angstreaktion vor dem neutralen Reiz erzeugt. In der anschließenden Extinktionsphase versuchten die Forscher, diese Angst wieder zu löschen, um schließlich die Mechanismen der Verringerung einer Angst zu untersuchen und optimieren zu können. Als unangenehmer Reiz wurde ein kurzer aber intensiver Luftstoß verwendet, der den Probanden am Hals appliziert wurde. Die neutralen Stimuli waren eine Spinne und ein Skorpion, wobei die Spinne mit dem unangenehmen Luftstoß gepaart wurde. Unter anderem physiologische Maße (Hautleitfähigkeit und Schreckreaktion) stellten die Variablen dar, anhand derer das Ausmaß der Angst gemessen wurde.
Alle Probanden absolvierten den dreiteiligen Versuchsaufbau, der aus Akquisition, Extinktion und Test auf Angstrückkehr bestand. Die Gruppe „Standard-Extinktion“ durchlief dabei einen gewöhnlichen Extinktionsablauf, bei dem die Angst durch die wiederholte Präsentation des ursprünglich neutralen Stimulus, nun ohne unangenehmen Reiz, gelöscht wird. Im Gegensatz dazu wurde bei der Gruppe „graduelle Extinktion“ das Auftreten des Luftstoßes allmählich reduziert, bis der unangenehme Stimulus letztendlich ganz ausblieb.
Ausschleichen des angstauslösenden Reizes vorteilhafter als abruptes Absetzten
Sowohl während der Akquisitions- als auch während der Extinktionsphase wurden keine Unterschiede zwischen beiden Versuchsgruppen festgestellt. Im Vergleich zur „Standard-Extinktion“ verringerte die graduelle Extinktion aber das Risiko der Rückkehr der Angst signifikant; gemessen anhand der Werte der Schreckreaktion. Diese neuen Beobachtungen belegen Befunde von Tierexperimenten und deuten darauf hin, dass das Verfahren der graduellen Extinktion eine geeignete Methode ist, um Angst effizienter zu löschen und die Gefahr von Rückfällen zu reduzieren.
Die Original-Publikation im Internet unter: journal.frontiersin.org/article/10.3389/fnbeh.2015.00254/abstract
Quelle: Universität Regensburg