Führende Psychiatrieforscher stellen heute auf dem DGPPN Kongress in Berlin wegweisende Ansätze in der Prävention, Diagnostik und Therapie psychischer Erkrankungen vor. Neben neuen Biomarkern könnten in Zukunft schon bald mathematische Modelle und weiterentwickelte Verfahren in der strukturellen Bildgebung die Versorgung der Patienten revolutionieren. Allerdings bedarf es dazu der richtigen Rahmenbedingungen für die Forschung. Die DGPPN sieht hier in Deutschland dringenden Handlungsbedarf.
Nahezu 50 Prozent der Bevölkerung erkrankt im Laufe ihres Lebens an einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung. Damit ist nicht nur ein großer Leidensdruck für die Betroffenen verbunden, diese Statistik geht auch mit erheblichen sozioökonomischen Effekten einher: Allein in Europa betragen die Ausgaben für psychischen Erkrankungen mehr als 500 Milliarden Euro im Jahr.
Mathematische Modelle präzisieren problematische Verhaltensmuster
Auf dem DGPPN Kongress in Berlin stehen deshalb wissenschaftliche und methodische Innovationen im Fokus, von welchen die Patienten schon bald profitieren könnten. „Neue mathematische Methoden erlauben es zum Beispiel, die Einschätzung des Krankheitsbildes durch Eindrücke und Beobachtungen der Therapeuten mit Verhaltensanalysen zu ergänzen: Auf diesem Weg lassen sich etwa Verhaltensmuster identifizieren, welche bei der Entwicklung und beim Fortbestehen von Suchterkrankungen eine wichtige Rolle spielen“, erklärt DGPPN-Vorstandsmitglied Professor Dr. Dr. Andreas Heinz von der Charité in Berlin.
Bildgebung und Biomarker unterstützen Vorhersagen
Die Weiterentwicklung von Verhaltensanalysen ist nur einer von vielen Ansätzen in der Psychiatrieforschung. Vielversprechend sind auch die aktuellen Erkenntnisse im Bereich der Biomarker und strukturellen Bildgebung, welche das Potenzial besitzen, das Verständnis und die Vorhersagbarkeit psychischer Erkrankungen entscheidend zu verbessern. Psychiatrieforschung findet nicht nur im Labor statt. Immer stärker steht auch die Befindlichkeit der Betroffenen in der realen Lebenswelt und im Langzeitverlauf im Fokus. „Hierzu eröffnen sich neue und vielversprechende Möglichkeiten – zum Beispiel durch die Tatsache, dass inzwischen nahezu jeder Patient ein Smartphone besitzt, über das sich seine emotionale und kognitive Befindlichkeit messen lässt“, so Professor Andreas Heinz weiter.
Doch damit die beeindruckenden Fortschritte auch bei den Patienten ankommen, braucht es Jahre intensiver und kontinuierlicher Forschung. In Deutschland haben sich leistungsfähige Forschungsnetzwerke gebildet, die durch den Bund gefördert werden. „Ein Problem dieser Netzwerkförderung ist jedoch die kurze Zeitdauer. Auch wenn sie über mehrere Jahre hinweg läuft, so ist das Ende irgendwann erreicht. Die Folge: Die durch die Netzwerke erarbeiteten Ergebnisse, Kompetenzen und Strukturen verschwinden wieder und müssen bei jeder neuen Förderung erst mühsam wieder aufgebaut werden“, stellt DGPPN-Vorstandsmitglied Professor Dr. Andreas Meyer-Lindenberg vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim fest.
Aus Sicht der DGPPN sind deshalb in der Forschungsförderung dringend neue Ansätze notwendig. „Mit den Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung (DZG) hat die Bundesregierung ein Instrument geschaffen, dass sich zur strukturellen Förderung auch im Bereich der psychischen Gesundheit eignet. Leider gehörte die Psychiatrie und Psychotherapie in der gegenwärtigen Förderperiode nicht zu den Themenfeldern. Hier muss die Regierung in der nächsten Phase der Förderung unbedingt eine Kurskorrektur vornehmen und ein Deutsches Zentrum für psychische Erkrankungen (DZP) als vernetzte Struktur mehrerer Standorte einrichten“, fordert Professor Andreas Meyer-Lindenberg.
Quelle: DGPPN-Pressemitteilung zum DGPPN Kongress 2016