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Psychotherapie kann pessimistische Erwartungen entkräften

© Picture Factory_Fotolia.com

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Psychotherapeuten können negative Erwartungen von Patienten ändern, wenn sie gegenüber zweifelhaften Patient:innen hohe Kompetenz vermitteln und eine starke Wärme ausstrahlen.

Pessimistische Erwartungen, ob eine Psychotherapie hilfreich ist, sind bei Patienten und Patientinnen nicht selten – und sie vermögen den Erfolg einer Therapie zu beeinträchtigen. Doch wie können Psychotherapeuten und Therapeutinnen diese Bedenken verändern? Dieser Fragestellung widmete sich das Forscherteam Prof. Winfried Rief und Anna Seewald von der Universität Marburg (siehe Clinical Psychological Science, online seit 14.9.2022 und Nature Reviews Psychology, online seit 21.10.22).

„Wärme und Kompetenz von Therapeuten und Therapeutinnen sind entscheidend für die Veränderung negativer Therapieerwartungen“, fasst die Psychologin Anna Seewald von der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Marburg das Ergebnis zusammen. In einer Online-Studie riefen Anna Seewald und Prof. Winfried Rief absichtlich negative Erwartungen bei Studienteilnehmenden hervor: Sie hörten einer skeptischen Patientin zu, die von einer schwachen Studienlage und geringen Effektivität der Psychotherapie bei der Bewältigung von Stress erzählte. Im nächsten Schritt sahen sich die Teilnehmenden dann ein Video an, in dem ein Therapeut einer Patientin positive Informationen über die Effektivität von Psychotherapie bei Stress vermittelte. Dabei wurde die emotionale Wärme der Kommunikation und die Ausstrahlung der Kompetenz des Therapeuten variiert. Nach den Videos gaben die Teilnehmenden ihre Erwartung darüber ab, ob eine Psychotherapie ihnen helfen könne. Die anfänglich negative Erwartung wurde am besten verändert, wenn der Therapeut im Video hohe Kompetenz vermittelte und eine starke Wärme ausstrahlte.

„Dieses Ergebnis kann Therapeuten und Therapeutinnen eine hilfreiche Verhaltensrichtlinie aufzeigen, wenn sie Patienten mit einer negativen Erwartungshaltung gegenübertreten“, erklärt Anna Seewald. Prof. Ulrike Bingel, Neurologin am Universitätsklinikum Essen und Sprecherin des Sonderforschungsbereich SFB/TRR 289 „Treatment Expectation“, betont, dass diese Forschungsergebnisse sind nicht nur für die Psychotherapie relevant, sondern auch in anderen Bereichen der Medizin von großer Bedeutung sind, „denn negative Erwartungen, Ängste und Sorgen spielen bei vielen Patientinnen und Patienten mit chronischen oder schweren akuten Erkrankungen eine große Rolle“. Der DFG Sonderforschungsbereich SFB/TRR 289 „Treatment Expectation“ untersucht die Mechanismen von solchen negativen Erwartungseffekten – auch bekannt als Noceboeffekt – und wie diese im klinischen Alltag zum Wohle von Patienten minimiert werden können. Weiterführende Forschung ist nach diesen spannenden neuen Erkenntnissen geplant.

Quelle: Universitätsklinikum Essen