In den letzten Jahren mehren sich Berichte über eine zunehmende Verbreitung des so genannten Neuro-Enhancements in Deutschland. Darunter versteht man die gezielte Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit und Verbesserung der emotionalen Befindlichkeit bei gesunden Menschen mit Hilfe von Medikamenten. Die Motivation für die Einnahme von Neuro-Enhancern ist vorrangig, dass sich Betroffene eine größere Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit im Job und in der Freizeit versprechen. Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verbreitung, Wirksamkeit und insbesondere auch zu den Risiken durch die verschiedenen Wirkstoffe fehlen jedoch weitestgehend. „Nur wenige, veröffentlichte Studien befassen sich mit der Wirkung von stimmungs- und kognitionsverbessernden Substanzen bei Gesunden. Daher ist es noch relativ unklar, ob sich mit bestimmten Medikamenten objektiv tatsächlich eine Leistungsverbesserung erzielen lässt und über welchen Zeitraum diese aufrecht erhalten werden kann“, sagt Prof. Thomas Pollmächer von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin. „Ebenso gibt es kaum Erkenntnisse über die Nebenwirkungen von Psychostimulanzien bei gesunden Menschen und über deren mögliche Langzeitfolgen. Mediziner beginnen erst damit, die Wirkung dieser Medikamente jenseits der Krankheiten zu ergründen, für die sie ursprünglich entwickelt wurden.“
Bekannte Nebenwirkungen von Neuro-Enhancer können beispielsweise Schlafstörungen, Unruhe bis hin zu Herzrhythmusstörungen sein - und auch deren Suchtpotenzial sollte nicht unterschätzt werden. Als „Wachmacher“ wird dabei der Wirkstoff Modafinil eingesetzt, der ursprünglich zur Behandlung der Narkolepsie zugelassen wurde. Konzentrationsfördernde Wirkungen erhoffen sich Konsumenten vom Amphetamin-Derivat Methylphenidat, welches eigentlich zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt wird. „Mittel zur ADHS-Therapie können beispielsweise bei nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch psychisch abhängig machen. Als Nebenwirkungen können unter anderem Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Herzrasen auftreten“, ergänzt der Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit am Klinikum Ingolstadt. „Vor einer leichtfertigen Einnahme ohne therapeutische Absicht kann man derzeit nur warnen.“ Über das Internet sind viele Substanzen, die in Deutschland verschreibungspflichtig sind, illegal erhältlich. Hierbei muss zudem vor Verunreinigungen, Betrug und unqualifiziertem Einsatz gewarnt werden.
Neben Wirkstoffen, welche die Leistungsfähigkeit steigern sollen, erhoffen sich gesunde Konsumenten von Antidepressiva eine Besserung bei Befindlichkeitsstörungen. Die stimmungsaufhellende, antriebsteigernde und mitunter auch angstlösende Wirkung von Antidepressiva ist bei Erkrankungen, wie etwa einer Depression, erwiesen. „Beim gesunden Menschen stellen Wirkung und Nebenwirkungen von Antidepressiva beim aktuellen Wissensstand jedoch ein unkalkulierbares Risiko dar. Menschen, die ihre Beschäftigung als belastend empfinden, sollten besser ausreichende Erholungszeiten einhalten und sich professioneller Hilfe bedienen, wenn die subjektive Belastung anhält. Das ist neben einer gut gestalteten Arbeit, auf die man selber möglichst viel Einfluss nehmen kann, ein zentraler Schutzfaktor für die körperliche und die psychische Gesundheit“, so der Experte.
In Deutschland stellte der DAK-Gesundheitsreport 2009 mit Hilfe einer repräsentativen Befragung von 3.000 Arbeitnehmern im Alter zwischen 20 und 50 Jahren fest, dass fünf Prozent von ihnen bereits chemische Mittel zur Verbesserung der psychischen Leistungsfähigkeit eingenommen hatten. Zwei von zehn Befragten sagten aus, dass die Risiken dieser Arzneimittel im Vergleich zum Nutzen vertretbar seien.
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