Nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes sind zirka drei Millionen Privatpersonen in Deutschland überschuldet. Zahlungsunfähige Menschen befinden sich in einer existenziellen Notlage und leiden weit häufiger unter einer psychischen Erkrankung als die Normalbevölkerung. Das belegt eine Studie des Soziologen Heiko Rüger von der Universität Mainz, die soeben in der Fachzeitschrift „PPmP Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2010) erschienen ist. Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Nürnberg-Erlangen und Aachen befragte der Forscher auf anonyme Weise 666 zahlungsunfähige Menschen in 53 anerkannten Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen von Rheinland-Pfalz. Dabei zeigte sich: Vier von zehn Schuldnern gaben an, derzeit an einem psychischen Leiden erkrankt zu sein. Je weniger soziale Unterstützung die verschuldeten Personen erhielten, desto schlechter war ihr seelisches Befinden. „Vor allem Personen“, so Rüger, „die die Überschuldung als starke Belastung erleben und nicht auf ein intaktes Netzwerk zurückgreifen können, sind von psychischen Erkrankungen bedroht.“
Bislang wurde der Zusammenhang zwischen Psyche und Verschuldung im deutschsprachigen Raum nicht systematisch erforscht. Wie Rüger darlegt, gibt es jedoch einige internationale Befunde, die in eine ähnlich Richtung weisen: So fand beispielsweise die Ärztin Annika Rosengren von der Universität Göteborg im Jahr 2004 heraus, dass Menschen mit finanziellem Stress ein erhöhtes Risiko aufweisen, eines Tages an einem Herzinfarkt zu erkranken. Und nach den Erkenntnissen des Psychologen Richard H. Price von der University of Michigan sinkt bei verschuldeten Menschen das Selbstbewusstsein rapide. Zugleich leiden sie häufiger an Depressionen als nicht verschuldete Personen.
Der seelische Leidensdruck ist nach den Befunden Rügers bei jenen Menschen besonders groß, die sich allein gelassen fühlen. „61,8 Prozent der überschuldeten Personen, die über eine mangelnde soziale Unterstützung durch ihr soziales Netzwerk berichten, leiden unter psychischen Erkrankungen.“ Wie die Befunde verdeutlichen, sind jene zahlungsunfähigen Menschen in hohem Maße belastet, die keine Änderung ihrer Situation anstreben. Diejenigen hingegen, die ein Privatinsolvenzverfahren beantragt haben, fühlen sich psychisch besser.
Entscheidend ist nicht so sehr die objektive Schuldenlast, sondern die subjektiv empfundene Last. Je stärker sich eine Person belastet fühlt, desto schlechter ist auch ihr Befinden. Zum einen sind überschuldete Menschen psychisch stärker belastet; zum anderen geraten Menschen mit psychischen Problemen eher in eine Überschuldungssituation. Beide Wirkmechanismen sind möglich und bereits ansatzweise empirisch belegt.
Wie die Befunde von Rüger verdeutlichen, ist die finanzielle Situation ein bedeutsamer „Risikofaktor“ für das Entstehen einer psychischen Erkrankung. Ärzte und Psychologen sollten deshalb stärker als bisher üblich den sozioökonomischen Hintergrund ihrer Patienten erfragen. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die soziale Lage der Betroffenen gelegt werden: Wer nämlich überschuldet und sozial isoliert ist, der ist psychisch besonders belastet.