Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kamen im Jahr 2013 in Deutschland insgesamt 10.076 Menschen durch Suizid zu Tode. Sachsen verzeichnete im Jahr 2014 insgesamt 664 Menschen, gut 16 pro 100.000 Einwohner. Durch einen Suizid sind aber auch immer Familienangehörige, Partner, Freunde oder Arbeitskollegen unmittelbar betroffen. Erhebungen gehen davon aus, dass es sich um sechs bis zehn Menschen aus engen Beziehungen handelt, die nach einem Suizid intensiv trauern. Hochgerechnet sind dies 3.900 bis über 6.600 Betroffene pro Jahr allein in Sachsen. Suizide und die Folgen sind ein ernstzunehmendes öffentliches Gesundheitsproblem.
Ernsthafte Folgebelastungen
Für Hinterbliebene stellt ein Suizid ein besonders schwer zu bewältigendes Lebensereignis dar. Meist sind es Angehörige, die den Verstorbenen finden oder identifizieren müssen, was zu einer Traumatisierung beitragen und noch Jahre später Leiden auslösen kann. Sie müssen außerdem eine Vielzahl von starken Affekten verarbeiten: neben der Trauer auch Gefühle der Wut, Ablehnung, Einsamkeit und insbesondere starke Verantwortungs- und Schuldgefühle. Nicht selten erleben Hinterbliebene zusätzlich starke gesellschaftliche Stigmatisierungen. Sie erhalten wenig Verständnis und Unterstützung durch ihr Umfeld und ihnen wird offen oder verhalten Schuld zugewiesen. Verstärkt durch eigene Schuld- und Schamgefühle werden Betroffene daran gehindert, sich die notwendige professionelle Hilfe zu suchen. Viele ziehen sich sozial zurück, in Familien wird das Thema tabuisiert.
Mit tiefgreifenden Folgen, hebt Prof. Dr. Anette Kersting hervor. Sie ist Direktorin der Uniklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Leipzig. "Überlebende eines Suizids haben ein besonders hohes Risiko, eine anhaltende komplexe Trauerreaktion zu entwickeln und in der Folge an psychischen Störungen wie Depressionen, Angsterkrankungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen zu erkranken bis hin zu eigenen Suizidgedanken. Die anhaltende komplexe Trauerreaktion, die bis zu 20 Prozent der Hinterbliebenen entwickeln, weicht in Dauer und Intensität deutlich von einem normalen Trauerverlauf ab." Kersting hat langjährige Erfahrungen im Bereich der internetbasierten Psychotherapieforschung und -behandlung sowie der Behandlung Trauernder. Sie hält eine internetgestützte Therapie speziell für Hinterbliebene nach Verlust eines nahestehenden Menschen durch Suizid für eine Erfolg versprechende Behandlungsalternative. "Durch den hohen Grad an Anonymität und die geografische Unabhängigkeit kann vielen Betroffenen der Zugang zu einer Behandlung möglich gemacht werden. Das vordringliche Ziel unserer neuen Studie ist deshalb, die Wirksamkeit dieses Anwendungsbereichs zu überprüfen."
Ablauf der neuen Studie
Die von Kersting entwickelte Internettherapie dauert fünf Wochen und besteht aus insgesamt zehn Schreibaufgaben, denn Schreiben kann dabei helfen, belastende Lebensereignisse und schwierige Emotionen zu verarbeiten. In verschiedenen Phasen geht es darum, die eigene Auseinandersetzung mit dem Verlust wahrzunehmen, eine neue Perspektive zu entwickeln und ein stärkeres Gefühl von Kontrolle über das eigene Leben zurückzugewinnen. Nach jeweils zwei Schreibeinheiten erhalten die Teilnehmer eine individualisierte Rückmeldung ihres Bezugstherapeuten. Sie erhalten außerdem regelmäßig Fragen zu ihrem körperlichen und psychischen Befinden.
Das Wissenschaftlerteam um Kersting untersucht in den kommenden zwei Jahren, ob durch die Teilnahme an der Internettherapie Ausmaß und Intensität der Trauerreaktionen beeinflusst werden können. Außerdem werden Risiko- und Schutzfaktoren bei der Entstehung einer komplizierten Trauerreaktion genauer betrachtet. Alle erhobenen Daten werden anonymisiert gespeichert und ausgewertet. Über die Homepage erhalten Interessierte detaillierte Informationen zur Studie und Behandlung.
Mehr Informationen:
psychsom.uniklinikum-leipzig.de/psychosom.site,postext,trauer-nach-suizid.html
Quelle: Universität Leipzig