Bereits vor vierzig Jahren hat der Schmerztherapeut Professor Dr. med. Ralph Spintge am Lüdenscheider Sportkrankenhaus Hellersen begonnen, Musik „medicofunctional“ einzusetzen. Zusammen mit japanischen Kollegen hat er damals Musikstücke ausgewählt oder neue gestaltet, um Schmerzen, Angst und Stress günstig zu beeinflussen. Seit 2005 ist die Musiktherapie offizieller Bestandteil einer sogenannten stationär-multimodalen Schmerztherapie bei chronisch Schmerzkranken.
Heute lehrt Spintge an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg am Institut für Musiktherapie. Für ihn steht außer Frage, dass das Hören, vor allem aber das Ausüben von Musik, verschiedene günstige Auswirkungen auf den menschlichen Körper hat. Dazu gehöre eine Senkung des Blutdrucks, eine Harmonisierung des Herzschlags, eine Beruhigung der Atmung und eine Verminderung von Stress- und anderen Hormonen, erklärt er. Musik helfe Menschen, in den Schlaf zu finden und Schmerzen zu ertragen. Sie lindere Übelkeit und Schwindel. Musik werde deshalb in den verschiedensten medizinischen Fachbereichen von der Augenheilkunde bis zur Zahnmedizin eingesetzt.
Auch bei der Behandlung von Demenzpatienten spielt Musik inzwischen eine wichtige Rolle. Die American Geriatrics Society und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hätten die außerordentliche Bedeutung der Behandlung erkannt, berichtet Professor Spintge. Musik wecke bei Patienten auch im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung überraschende Fähigkeiten. So sei es nicht ungewöhnlich, dass Patienten, die nicht mehr in der Lage sind, ihren eigenen Namen zu nennen, mehrstrophige Lieder fehlerfrei mitsingen können. Die Forschung führt dies darauf zurück, dass musikalische Inhalte in Hirnarealen gespeichert werden, die bei der Alzheimer-Demenz noch lange erhalten bleiben. Musik sei deshalb für die Demenzkranken eine Möglichkeit, weiter am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Professor Spintge verweist auf eine Übersicht der Cochrane-Gruppe aus dem Jahr 2018, die die Ergebnisse aus 17 Studien mit insgesamt 620 Probanden zusammengefasst hat. Aktives Musizieren oder passives Hören linderten danach vor allem die Depressionen von Demenzpatienten. Aber auch auf Verhaltensauffälligkeiten, wie Unruhe und Angst vor Ungewohntem, das Wohlbefinden und die Lebensqualität wirke sich Musik günstig aus, so Spintge.
Um diese Wirkungen zu erzielen, reiche es allerdings nicht aus, die Patienten im Pflegeheim mit Musik zu beschallen. Musik auf Rezept mit „3 × 10 mg Mozart pro Tag“ sei noch kein therapeutisches Konzept. Der Experte rät dringend, die Behandlung von ausgebildeten Musiktherapeuten durchführen zu lassen, die ein Gespür für die individuellen Möglichkeiten der Patienten hätten.
„Für Demenzerkrankte bietet Musik neue Kommunikationswege und steigert ihre Lebensqualität. Das bedeutet auch eine Entlastung für die jeweiligen Betreuungspersonen“, fasst der Experte zusammen.
Quelle: Pressemitteilung Georg Thieme Verlag aus R. Spintge: Musik und Demenz – Perspektiven einer wachsenden Beziehung, DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2019; 144 (25); S. 1810–1815