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Auch Verhaltensweisen können „Suchtcharakter“ annehmen – rechtzeitig professionelle Hilfe nutzen

Verhaltensabhängigkeiten verursachen weniger eine körperliche Abhängigkeit, wie z.B. Entzugserscheinungen bei Abstinenz. Ihr Schwerpunkt liegt eher auf dem Kriterium des „Kontrollverlusts“, d. h. das Verhalten entzieht sich weitgehend rationaler Kontrolle.

Eine Abhängigkeit muss nicht zwangsläufig an Substanzen, wie etwa Drogen, Alkohol, Zigaretten oder Medikamente geknüpft sein. Auch Verhaltensweisen können Menschen „süchtig“ machen und haben ein mit stoffgebundenen Süchten vergleichbares Abhängigkeitspotenzial. „Eine so genannte „nichtstoffliche Sucht“ äußert sich in „zwanghafter“ Abhängigkeit von bestimmten Verhaltensweisen, wie beispielsweise Glückspielen oder Computer- oder Internetnutzung. Betroffene verspüren dann den starken Drang, dem jeweiligen psychischen Reiz zu folgen, er dominiert ihre Gedanken und ihre Handlungs- und Entscheidungsfreiheit ist stark eingeschränkt. Letztlich haben sie nicht die Freiheit, diesem imperativen Bedürfnis - auch „Craving“ genannt - zu widerstehen“, berichtet Prof. Dr. med. Karl F. Mann von der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) mit Sitz in Berlin. Auch pathologisches Kaufen, exzessives Sexualverhalten und Aspekte von Adipositas können Suchtcharakter annehmen, allerdings hat hier die Forschung noch keine überzeugenden Befunde geliefert, die eine Einordnung unter die „Verhaltenssüchte“ rechtfertigen würde.

Verhaltensabhängigkeiten verursachen weniger eine körperliche Abhängigkeit (z.B. Entzugserscheinungen bei Abstinenz). Ihr Schwerpunkt liegt eher auf dem Kriterium des „Kontrollverlusts“, d. h. das Verhalten entzieht sich weitgehend rationaler Kontrolle. Sie können, ebenso wie Substanzen, die Gesundheit schädigen und schwerwiegende soziale und berufliche Folgen haben. Zu den Verhaltensabhängigkeiten werden exzessiv ausgeübte Verhaltensweisen gezählt, die einen „belohnenden Effekt“ haben und die Kriterien einer Abhängigkeit erfüllen, wie beispielsweise die starke Einengung des Verhaltens oder auf den Kontrollverlust.

Für die Einordnung dieser nicht stoffgebundenen „Süchte“ gibt es, mit Ausnahme der Glücksspielsucht, noch keine eigenen, international gültigen diagnostischen Kriterien. Dagegen zeichnet sich ab, dass therapeutisch gesehen das „Suchtmodel“ gute Ansatzpunkte bietet. Damit wird über die derzeit noch gültigen diagnostischen Kriterien hinausgegangen, wo von „Störungen der Impulskontrolle“ ausgegangen wird. „Charakteristisch für eine Impulskontrollstörung wie sie beispielsweise beim pathologischen Kaufen vorliegt, ist, dass es zu einem subjektiv erlebten Spannungszustand vor der Handlung kommt und einer Entlastung danach. Im Anschluss an das Verhalten treten in der Regel Reue, Selbstvorwürfe und Schuldgefühle auf“, ergänzt Prof. Mann, Inhaber des Lehrstuhls für Suchtforschung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.

Ursachen für die Entwicklung dieser Störungen liegen in biologischen Faktoren sowie psychosozialen Einflüssen. Es existieren auf genetischer Ebene Risikofaktoren, welche die Entwicklung einer Sucht begünstigen. „50 bis 60 Prozent der Erkrankungsfälle von Alkohol- und Tabaksucht sind genetisch bedingt und auch bei den Verhaltenssüchten muss man von entsprechenden Zahlen ausgehen. Ist eine bestimmte Konstellation von Risikofaktoren vorhanden und es kommen ungünstige Umgebungsfaktoren - wie beispielsweise Stress - hinzu, kann sich die Störung entwickeln“, ergänzt Prof. Mann.

Der Übergang vom harmlosen bis zum süchtigen Verhalten findet meist schleichend statt. Daher ist es für Betroffene und Mitmenschen häufig schwierig, eine beginnende Sucht zu erkennen. Erste Anzeichen sind, wenn sich Betroffene gedanklich sehr viel mit der Umsetzung dieser Verhaltensweise beschäftigen und starkes Verlangen danach haben. „Oft ist es jedoch erst der große Leidensdruck, der die Betroffenen dazu bringt, Hilfsangebote wahrzunehmen“, berichtet der Suchtexperte. „Neben Fachärzten bieten auch Suchtberatungsstellen ein breites Spektrum unterschiedlichster Hilfs-, Beratungs- und Behandlungsangebote für Betroffene und Angehörige. Die Therapie ähnelt dann der bei stoffgebundenen Abhängigkeiten. Zentrale Elemente sind, über die Krankheitseinsicht und Veränderungsmotivation letztlich eine Verhaltensänderung zu bewirken.“

Suchtforschung galt über viele Jahre überwiegend der Auseinandersetzung mit stoffgebundener Abhängigkeit. Die Entwicklung in den letzten Jahren - beispielsweise im Hinblick auf übermäßige Computer- und Internetnutzung - erfordert nun eine verstärkte fachliche Beschäftigung mit nichtstoffgebundenen Abhängigkeiten bzw. ihrer Klassifikation, Diagnostik und Behandlung. Dabei ist es aber auch sehr wichtig, die Grenzen des Suchtbegriffes zu beachten und damit seiner inflationären Ausweitung zu begegnen.

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