Psychische Erkrankungen weisen in ihren vielfältigen Erscheinungsformen und ihrer Ausprägung eine große Unterschiedlichkeit auf. Sie beeinflussen viele Lebensbereiche, dabei insbesondere auch das Erwerbsleben. 50 Prozent der Menschen mit chronischen psychischen Störungen im erwerbsfähigen Alter gehen keiner Erwerbstätigkeit nach und weitere 20 Prozent sind nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig. Dabei hat berufliche Teilhabe vielseitige förderliche Aspekte auf die Gesundheit und die Lebensqualität und beeinflusst den Krankheitsverlauf positiv. Um psychisch erkrankten Menschen möglichst auf dem ersten Arbeitsmarkt eine langfristige Teilhabe zu ermöglichen, ist man heutzutage bestrebt, gemeinsam mit den Patienten zu einem möglichst frühen Zeitpunkt ihres Versorgungsprozesses realisierbare Perspektiven zu entwickeln. Erkenntnisse der letzten Jahre weisen darauf hin, dass der direkte Kontakt mit dem ersten Arbeitsmarkt Patienten bei der Rehabilitation hilft, wenn er passgenau ist und Betroffene individuelle beruflich orientierte Unterstützung erhalten. Auch bei den Patienten ist der Wunsch nach Rückkehr in die Erwerbstätigkeit meist groß – der Weg dahin sollte zum frühest möglichen Zeitpunkt im Behandlungsverlauf thematisiert werden.
„Arbeit ist für Menschen ein überaus integrativer Teil der Lebenswelt, denn sie ermöglicht regelmäßige soziale Kontakte und vermittelt das Gefühl gesellschaftlicher Zugehörigkeit und Wertschätzung. Gerade bei Menschen mit psychischen Störungen kann Arbeit zur psychosozialen Stabilisierung beitragen und das Selbstwertgefühl stärken“, betont Prof. Katarina Stengler vom Referat „Rehabilitation und Teilhabe“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Leider haben Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen aus verschiedenen Gründen aber immer noch große Schwierigkeiten, sich auf dem regulären Arbeitsmarkt zu etablieren. Damit das Ziel der beruflichen Teilhabe für sie erreichbar und realistisch bleibt, ist es im Erkrankungsfall wichtig, das Thema möglichst bald in die Planung von Behandlung und Reha einzubinden. „Für die Patienten ist es wertvoll zu wissen, dass auf Basis ihrer individuellen Fähigkeiten und Neigungen eine Teilhabe am Arbeitsmarkt mit einem möglichst hohen Maß an Normalität ein wichtiges Ziel ist. Dabei richtet sich der gemeinsame Blick heute mehr auf die Ressourcen und Potenziale sowie das vorhandene Leistungsvermögen von Patienten“, ergänzt die Expertin. Heute setzt man vermehrt individuelle beruflich orientierte Modelle ein, die stärker auf die persönlichen Bedürfnisse und vorhandenen Stärken von psychisch kranken Menschen ausgerichtet sind. Diesen Ansatz verfolgt man auch bei der Wahl des Arbeitsplatzes.
Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt durch individuelle Unterstützung vorteilhaft
Internationale Forschungsergebnisse zeigen, dass eine möglichst nahtlose Wiedereingliederung von Vorteil ist, die im Rahmen des sogenannten „Supported Employment-Modells“ erfolgt. Dabei versucht man Personen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren, damit sie einer bezahlten Arbeit dauerhaft nachgehen können. „Wir sehen es als besonders erstrebenswertes Ziel der Arbeitsintegration, psychisch erkrankten Menschen durch angemessene Unterstützung eine chancengleiche Teilhabe am beruflichen Leben zu ermöglichen“, meint Prof. Stengler. Beim Supported Employment werden Patienten möglichst bald auf einen Arbeitsplatz des regulären Arbeitsmarkts platziert und hierbei langfristig intensiv von einem Job-Coach begleitet. Schon während des Behandlungs- und Rehabilitationsverlaufs stehen Maßnahmen im Vordergrund, vorhandene Teilhabebeeinträchtigungen nachhaltig zu verringern, die in beruflicher Hinsicht einschränkend sein können. Danach steht den Personen der Job-Coach zur Verfügung, um individuelle arbeitsplatzbezogene Schwierigkeiten abzubauen. „Die Kombination aus einem Berufseinstieg, der wenn möglich frühzeitig im Rahmen der Behandlung geplant wird, mit der anschließenden Begleitung durch einen festen professionellen Ansprechpartner schafft momentan die besten Voraussetzungen für eine perspektivische Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt“, fasst die Expertin zusammen. Jobvorbereitende Trainingsprogramme und Maßnahmen, die zeitlich zwischen Behandlung und Arbeitsmarktintegration liegen, haben sich demgegenüber in internationalen Studien als weniger vorteilhaft erweisen, stellen jedoch für einen Teil psychisch erkrankter Menschen nach wie vor einen wichtigen Teil zur Förderung beruflicher Teilhabe in Deutschland dar. Damit die Arbeitsmarktintegration von psychisch erkrankten Menschen gelingen kann, ist zudem eine gewisse Sensibilität und Bereitschaft von allen Seiten des Arbeitsmarktes erforderlich.
Weitere Informationen:
- Hauptstadtsymposium der DGPPN vom 26. bis 28.05.2020 zum Thema "Arbeit, Wohnen, Armut: soziale Fragen in der Psychiatrie"
Das DGPPN-Hauptstadtsymposium zum Thema „Arbeit, Wohnen, Armut: soziale Fragen in der Psychiatrie“ geht der Frage nach, was getan werden muss, um psychisch erkrankte Menschen davor zu bewahren, ins soziale Abseits zu rutschen. Aufgrund der Corona-Pandemie findet das DGPPN-Hauptstadtsymposium in diesem Jahr erstmals als Live-Webinar statt (kostenfrei). - Teilhabekompass: Integrationsmaßnahmen in Deutschland – insbesondere für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen
Quellen:
Steffi G. Riedel-Heller & Uta Gühne: Was bringt schwer psychisch Kranke besser in Arbeit? Vortrag 5. Fachtag Arbeit des Fachausschusses Arbeit und Beschäftigung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) e.V.; Donnerstag, 30. März 2017 in Hamburg
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