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Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Depressionen – Erprobte Online-Selbsthilfe- und Interventionsprogramme in verschiedenen Erkrankungsphasen hilfreich

Nutzer von Online-Selbsthilfe-Tools sollten unbedingt darauf achten, dass die Angebote ihren individuellen Bedürfnissen gerecht werden, ihre Wirksamkeit nachgewiesen ist und sie nur ein geringes mögliches Schadensrisiko bergen. Zudem sollten Personen, die depressive Symptome an sich bemerken, nie ausschließlich auf digitale Hilfsangebote zurückgreifen und eine ärztliche Diagnose einholen.

In Deutschland sind pro Jahr fünf Millionen Bundesbürger an einer Depression erkrankt. Gleichzeitig bestehen aus unterschiedlichen Gründen Versorgungslücken. Etwa 60 Prozent der depressiven Erkrankungen werden in Deutschland nicht durch Fachärzte behandelt, sondern hausärztlich versorgt. Bei leichten und mittelschweren Depressionen gilt die Psychotherapie als erstes Mittel der Wahl. Allerdings stehen ihr lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz gegenüber. Internetgestützte Selbsthilfeprogramme können in solchen Situationen eine wertvolle Hilfestellung für Patienten sein. Auch als ein zusätzlicher Baustein im Behandlungsplan können digitale Interventionen eine Therapie optimieren. Anwender sollten dabei aber unbedingt darauf achten, dass solche Angebote ihren individuellen Bedürfnissen gerecht werden, ihre Wirksamkeit nachgewiesen ist und sie nur ein geringes mögliches Schadensrisiko bergen. Zudem sollten Personen, die depressive Symptome an sich bemerken, nie ausschließlich auf digitale Hilfsangebote zurückgreifen und eine ärztliche Diagnose einholen.

Unterscheidung zwischen Präventions-Apps und online-gestützter Verhaltenstherapie notwendig

Grundsätzlich ist es sehr wichtig, sich mit den angebotenen Apps und Programmen zuvor auseinanderzusetzten und sich über ihre Ansätze, Chancen und Grenzen zu informieren. Inhaltliche Unterschiede, Zweckbestimmung, Wirksamkeit, Datenschutz und Sicherheit sind die zentralen Aspekte, die man betrachten sollten. Digitale Selbsthilfeangebote müssen bei einer Verschlechterung der Symptomatik oder einer akuten Krise zudem unbedingt weiterführende Hilfestellung für Betroffene bereithalten.

Auf dem Markt existieren so genannte Präventions-Apps (Lifestyle-Apps), die als Stressbewältigungstraining, Achtsamkeitstraining oder als Aktivitätstagebuch dabei helfen können, die psychische Gesundheit vorbeugend zu fördern. Solche Angebote sind jedoch in dem Moment unzureichend, in dem erste Symptome auftreten oder der Erkrankungsfall eintritt. Dies sollte für die Anwender auch transparent kenntlich sein. Daneben gibt es internetbasierte Psychotherapie-Interventionen, die teilweise auch von Experten begleitet werden. „Online-basierte Interventionen mit psychotherapeutischen Ansätzen beinhalten meist Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie. Sie ist eines der wirksamsten Psychotherapieverfahren bei Depressionen“, erklärt Dr. Iris Hauth von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin. „Hierbei geht es unter anderem darum, die eigenen Gefühle und Gedanken zu beobachten, negative Denkstrukturen zu identifizieren und persönliche Bedürfnisse besser wahrzunehmen. Teilnehmer können mit Hilfe von Übungen und Aufgaben Alternativen zu problematischen Denk- und Verhaltensmustern entwickeln und ihr Selbstwirksamkeitserleben trainieren.“ Diese Online-Psychotherapie-Programme bestehen oft aus mehreren Modulen, die Teilnehmer etwa ein- bis zweimal wöchentlich bearbeiten sollen. Fragebögen und Selbsttests informieren zum persönlichen Fortschritt und erlauben zugleich eine Reaktion und Hilfestellung bei möglichen Krisen. Hilfestellung und Aufklärung zum Umgang mit Stress oder die Motivation zu körperlicher Aktivität, die Inhalte von Präventions-Apps sind, sind oft einzelne Bausteine dieser komplexen internetbasierten Interventionen.

Online-Psychotherapie-Programme zur Überbrückung von Wartezeit oder als Begleitmaßnahme bei leichten bis mittelschweren Depressionen

Eine wichtige Voraussetzung für eine effektive Behandlung von psychischen Erkrankungen ist immer eine korrekte Diagnose. Ohne vorherigen Arztkontakt sollten Hilfesuchende nicht allein auf internet-basierte Programme zurückgreifen. Depressive Symptome können auch bei körperlichen Krankheiten oder als Teil anderer psychischer Erkrankungen auftreten. Grundsätzlich sollte jede Person, die länger als zwei Wochen die klassischen Symptome der Depression (depressive Stimmung, Verlust von Interesse oder Freude und erhöhte Ermüdbarkeit) erlebt, entweder den Hausarzt oder einen Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie aufsuchen. „Zur Überbrückung der Wartezeit auf einen Therapieplatz oder als begleitende Maßnahme während einer ambulanten, teilstationären oder auch stationären Therapie können online-basierte Interventionen als zusätzliche Maßnahme erfolgreich eingesetzt werden“, betont die Psychiaterin und Psychotherapeutin. „Bei leichten bis mittelschweren Depressionen ist die Wirksamkeit einzelner Programme nachgewiesen - auch im Rahmen der Behandlung von Depressionen, die allein durch Hausärzte erfolgt.“ Eine computergestützte Verhaltenstherapie kann bei Patienten mit mildem Erkrankungsverlauf die Symptome reduzieren, die Lebensqualität verbessern und eine Therapie optimieren. Onlinebasierte Interventionen können auch im Rahmen der Rückfallprophylaxe eingesetzt werden. Bei schweren Erkrankungsgraden ist eine engmaschige medizinische Überwachung und oft auch die Einnahme von Medikamenten notwendig. Hier stoßen internetbasierte Interventionen klar an ihre Grenzen, sie können aber ergänzend unterstützen.

Auf dem Markt sind verschiedene Online-Selbsthilfe- und Psychotherapieprogramme verfügbar, die kostenpflichtig oder von Versicherten einzelner Krankenkassen kostenfrei genutzt werden können. In dem Online-Selbsthilfeprogramm „moodgym“ zur Prävention und Linderung depressiver Symptome besteht ein kostenfreies Angebot.

Ergänzende Informationen:

DGPPN-Pressemitteilung - Gesundheits-Apps auf dem Prüfstand: Patientenschutz durch Evidenz gefordert

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