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Herausgegeben von den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

Essstörungen: Verlorene Lebensjahre durch übermäßige Beschäftigung mit eigenem Körper und Ernährung

Essstörungen sind Erkrankungen der modernen Industriegesellschaften. Es haben sich verschiedene Formen von Essstörungen entwickelt, die in Gesellschaften mit Nahrungsmittelknappheit praktisch nicht vorkommen, wie die Magersucht und die Ess-Brechtsucht (Bulimie). Teil des Erkrankungsbildes bei Essstörungen ist oft eine übermäßige Beschäftigung mit dem eigenen Körper und der Ernährung, was zur Vernachlässigung in vielen anderen Lebensbereichen führt.

Seit Mitte des letzten Jahrhunderts ist es in unserer Gesellschaft zu Veränderungen in Bezug auf das Ernährungsverhalten und die Einstellung gegenüber dem eigenen Körper gekommen. Es haben sich verschiedene Formen von Essstörungen entwickelt, die in Gesellschaften mit Nahrungsmittelknappheit praktisch nicht vorkommen, wie die Magersucht und die Ess-Brechtsucht (Bulimie). In den letzten Jahren zeigt sich zudem ein Trend hin zu bestimmten Ernährungsweisen, die das Essverhalten mitunter stark einengen können, wie beispielsweise die Orthorexie, die sich durch einen Zwang zu vermeintlich gesunder Ernährung auszeichnet. Essstörungen können unter anderem als Folge von eng gesteckten Schönheitsidealen und Körperkult aber auch vom Streben nach Perfektionismus auftreten. Dahinter stehen meist ein niedriges Selbstwertgefühl und Schwierigkeiten im Umgang mit Gefühlen. Vielfach folgen Essstörungen dabei dem Bedürfnis junger Menschen nach Selbstfindung und mehr Kontrolle über das eigene Leben. Auch ein übersteigertes Vorhaben, sich besonders gesund oder nach bestimmten Kriterien zu ernähren, kann problematisch verlaufen und in ein zwanghaftes Störungsbild übergehen.

Essstörungen engen die Lebenswelt ein

Teil des Erkrankungsbildes bei Essstörungen ist oft eine übermäßige Beschäftigung mit dem eigenen Körper und der Ernährung, was zur Vernachlässigung in vielen anderen Lebensbereichen führt. Essstörungen können die Lebenswelt von Betroffenen erheblich einschränken, weil es sich in ihrem Universum fast ausschließlich um Kalorien, Gewicht und Körperumfang dreht. „Die Gedanken beschäftigen sich ununterbrochen damit, was gegessen wird, wie man zusätzliche Kalorien verbrennt oder wie man sich durch körperliche Aktivität ein Essen «verdienen» könnte“, erklärt Prof. Ulrich Voderholzer von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) mit Sitz in Berlin. „Normale soziale Beziehungen werden dadurch beeinträchtigt. Verabredungen werden schnell zur Belastung, weil man nicht gemeinsam essen gehen kann oder aber anschließend doppelt so viel Zeit für körperliche Aktivität und Kalorienverbrennung aufwenden muss. Solche Zwangsphänomene dominieren besonders bei der Magersucht – keine andere psychosomatische Erkrankung verursacht so viele «verlorene Lebensjahre».“

Neben dem Sozialleben sind auch sämtliche andere Lebensbereiche eingeschränkt, weil die Interessen rund um Körper und Ernährung klar abgesteckt sind. Im Zeitalter einer facettenreichen Medienlandschaft, die rund um die Uhr zur Verfügungen steht, lässt sich leicht nachvollziehen, dass Betroffene sich in einem Universum aus Foren, Blogs, Video-Kanälen und «Whatsapp-Gruppen» zum Thema Bodystyling und Ernährungstrends schnell verlieren können. Einsamkeit und depressive Verstimmungen sind häufige Begleiterscheinungen bei Essstörungen.

Diäten und Ernährungstrends können problematisch sein

Bei vielen Menschen zeigen sich Leistungsdruck und Perfektionismus auch durch Streben nach einem vermeintlich perfekten Körper. Junge Frauen und Männern, deren Selbstbild noch nicht stabil ist, sind dafür besonders anfällig, und laufen eher Gefahr, eine Körperbildstörung zu entwickeln. „Ein negatives Selbstbild, die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und ein Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit spielen bei der Entwicklung von Essstörungen eine große Rolle. Auch Identitätsstörungen und Verunsicherung sind oft im Hintergrund vorhanden“, berichtet der Experte. „Manche Menschen neigen dann dazu, ein Gefühl von Kontrolle, Sicherheit und Identifikation über bestimmte Ernährungsweisen erzielen zu wollen. Ein entsprechendes Ernährungsverhalten mit klaren Regeln vermittelt zunächst ein Gefühl von Sicherheit und Orientierung. Die permanente Beschäftigung damit kann sich aber auch verselbstständigen und in einem zwanghaften Essverhalten münden. Zudem ruft eine andauernde kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Ernährung und dem eigenen Körper Stress hervor, was grundsätzlich Risiken für die psychische Gesundheit birgt“, warnt Prof. Voderholzer. Diäten sind als Auslöser von Essstörungen bekannt. Wer eine Diät beginnt, hat ein dreifach erhöhtes Risiko an einer Essstörung zu erkranken.

Eine Therapie sollte möglichst schon im Anfangsstadium einer Erkrankung erfolgen, um das Risiko für gravierende gesundheitliche Schäden zu verringern. Neben einer Normalisierung des Essverhaltens und dem Aufbau einer Mahlzeitenstruktur müssen zugrundliegende emotionale und soziale Probleme mitbehandelt werden. Das komplexe Zusammenspiel zwischen körperlichen und psychischen Symptomen erfordert ein spezialisiertes Behandlungskonzept mit fachübergreifender Betreuung.

Essstörungen sind Erkrankungen der modernen Industriegesellschaften. Vor dem Hintergrund eines permanenten Nahrungsmittelüberflusses ist einerseits ein Anstieg von Übergewicht und Adipositas zu beobachten. Daneben haben sich verschiedene weitere Formen von Essstörungen entwickelt, wie das Binge-Eating, die Magersucht oder die Bulimie. Nach der repräsentativen Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) leiden 1,5 % der Frauen und 0,5 % der Männer unter Essstörungen. Insbesondere bei Männern könnte die Dunkelziffer deutlich höher liegen.

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