Die Corona-Pandemie hat insbesondere Familien mit Kindern vor große Herausforderungen gestellt: Kontaktbeschränkungen zu Freunden, eingeschränkte sportliche Aktivitäten, geschlossene Kitas und Homeschooling - all das kann mit erheblichen psychischen Belastungen, Stress und Unsicherheit für Eltern und deren Kinder einhergehen. Einer aktuellen Studie in der Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie (online am 4.8.2021) zufolge fühlen sich mehr als 70 % der Kinder und Jugendlichen seelisch belastet und jedes vierte Kind berichtet, dass es in der Familie häufiger zu Streit komme als vor der Corona-Krise. „Die räumlich beengte Situation während der Lockdowns kann aufgrund des ‚Dichte-Stresses‘ psychologische Reaktionen wie Wut, Ärger, Verzweiflung oder Überaktivität auslösen und zu familiären Konflikten führen oder auch eskalieren“, erläutert Prof. Dr. med. Arno Deister, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) und Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin in Itzehoe. Zusätzlich kann es aufgrund von Sorgen wegen finanzieller Unsicherheit und Existenzängsten durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit zu Überforderung kommen. Manche Mütter oder Väter sind so überlastet, dass sie ihre Kinder in stressigen Situationen anschreien oder sogar übergriffig werden, obwohl sie das gar nicht wollen und ihr Verhalten im Nachhinein auch nicht erklären können. Demgegenüber reagieren Kinder auf Stress oft mit anklammerndem Verhalten bei den Bezugspersonen oder mit Rückzugsverhalten, Stimmungsschwankungen, Ängsten, Albträumen, Bettnässen oder aber auch mit Wut und Ärger.
Risiko für psychische Probleme wird durch adäquate Behandlung und Unterstützung gesenkt
Vor allem auch für Familien, die bereits mit psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen konfrontiert sind, stellt die Corona-Pandemie eine große Belastungsprobe dar, die zu psychischer Überlastung führen kann. „Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit oder Schlafstörungen können vorhandene Depressions-Tendenzen verstärken, so dass sich diese zu einer behandlungsbedürftigen depressiven Episode entwickeln. Es können Suizidgedanken aufkommen, oder es wird vermehrt Alkohol konsumiert, der auch die Gefahr zunehmender häuslicher Gewalt bergen kann“, berichtet Prof. Deister. Eine weitere aktuelle Studie in der Fachzeitschrift Nervenheilkunde (2021, Band 40/05, Seite: 327-332) hat aufgezeigt, dass psychische Vorerkrankungen bei den Eltern mit einer weniger erfolgreichen Bewältigung der Pandemie-Herausforderungen bei den Kindern sowie in der gesamten Familie einhergehen. Außerdem haben Kinder mit Eltern, die an psychischen Vorerkrankungen leiden, ein erhöhtes Risiko, ebenfalls psychische Probleme zu entwickeln. Die Studiendaten legen nahe, dass Kinder mit psychisch vorerkrankten Eltern adäquate Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten benötigen, um die Belastungen der Corona-Pandemie erfolgreich meistern zu können und um ihr Risiko für die Entwicklung von psychischen Problemen zu senken. Wie die Hilfsangebote für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil konkret verbessert werden können, daran arbeitet die DGPPN gemeinsam mit verschiedenen Fachverbänden und weiteren Experten. Das Ziel besteht darin, familienzentrierte Hilfen für Kinder psychisch- und suchtkranker Eltern zu realisieren und somit einen Perspektivwechsel von individuumszentrierten Rechtsansprüchen hin zu einer durchgehenden Familienorientierung der Hilfen auch im fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) durchzusetzen.
Vielfältige Präventions- und Hilfsangebote werden vom 08.-18.10.21 vorgestellt
Unter dem Motto „Gemeinsam über den Berg – Seelische Gesundheit in der Familie“ lädt das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit vom 08. bis 18. Oktober 2021 Betroffene und deren Angehörigen dazu ein, bei verschiedenen Veranstaltungsformaten und Aktionstagen sich über die vielfältigen Präventions-, Hilfs- und Beratungsangebote zu informieren und die stationären und ambulanten Angebote der psychiatrischen und psychosozialen Einrichtungen in ihrer Umgebung kennenzulernen. Ob Vorträge, Experten-Interviews, Workshops, Podcasts, Büchertipps oder Kunstausstellungen - alle Angebote sind kostenfrei und richten sich an alle Generationen. Ziel ist über psychische Erkrankungen zu informieren und aufzuklären, Betroffene sowie deren Angehörige einzubinden und dazu zu motivieren, offen über die eigenen Probleme zu reden, Emotionen und Ängsten Ausdruck zu verleihen, Berührungsängste abzubauen und sich aktiv Hilfe zu suchen bzw. Unterstützung dafür zu finden. Auch Corona-konforme Möglichkeiten sind verfügbar, die ohne direkten persönlichen Kontakt stattfinden können – wie zum Beispiel telefonische Beratungs- und Seelsorgeangebote sowie psychotherapeutische Unterstützung via Videosprechstunde. „Es geht darum, das Schweigen zu brechen, professionelle Unterstützung und Hilfe in Anspruch zu nehmen und eine frühzeitige Prävention zu ermöglichen“, fasst Prof. Deister zusammen.
Mehr Informationen zur Woche der Seelischen Gesundheit: www.seelischegesundheit.net/aktionen/aktionswoche
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