Essstörungen wie beispielsweise die Magersucht oder die Ess-Brechsucht sind schwere psychische Erkrankungen, die unter Umständen einen lebensbedrohlichen Verlauf nehmen können. Die Vielfalt und die Häufigkeit solcher Störungen haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Auch beim männlichen Geschlecht kommt es offenbar zunehmend zu Erkrankungen aus diesem Formenkreis. Oft ist eine sogenannte Körperschema- oder Körperbildstörung Teil des Erkrankungsbildes, bei der Betroffene eine verzerrte Wahrnehmung in Bezug auf ihren Körper haben. Das Körperbild ist eine durch unsere Sinne vermittelte Vorstellung unseres Körpers und umfasst auch das emotionale Körpergefühl und die kognitive Selbstbewertung. „Menschen mit einer Körperbildstörung sehen beim Blick in den Spiegel etwas völlig anderes als ihre Umwelt. Sie haben diesbezüglich eine eingeengte, äußerst subjektive Wahrnehmung und sehen beispielsweise ihre Körpersilhouette weit weg vom persönlichen Idealbild. Betroffene Frauen überschätzen oft ihren Körperumfang, Männer schätzen sich hingegen oft als zu schmächtig ein, obwohl sie meist schon trainiert sind“, berichtet Prof. Ulrich Voderholzer von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin. „Das Körperbild entsteht im Zuge der Identitätsbildung und ist eng an den sozialen Kontext gebunden. Durch gesellschaftliche Schönheitsideale und Wertvorstellungen aber auch Rollenerwartungen, die durch die Medien sehr früh an junge Menschen herangetragen werden, können sie unter Druck geraten und Selbstwertprobleme in Kombination mit einer Körperschemastörung entwickeln.“ Essstörungen und Körperschemastörungen sind jedoch grundsätzlich von vielen verschiedenen Faktoren abhängig, wie biologischen Aspekten, persönlichkeitsbedingten Faktoren sowie weiteren sozialen Einflüssen und dem familiären Umfeld.
Übermäßige Beschäftigung mit dem Körper sind Anzeichen
Symptome von Essstörungen sind bei beiden Geschlechtern ähnlich, wobei Männer oftmals dazu neigen, über Sport und exzessive körperliche Aktivität eine Optimierung von Gewicht und Figur zu erzielen. Gemein ist beiden Geschlechtern eine ständige Beschäftigung mit dem eigenen Aussehen, dem Körpergewicht und der Nahrungsaufnahme. Ihr Selbstwertgefühl ist stark an das eigene Gewicht und die eigene Figur gekoppelt. „In vielen Fällen regulieren die Betroffenen ihr Gewicht durch selbst ausgelöstes Erbrechen, zeitweilige Hungerperioden, übertriebene sportliche Aktivität, Abführmittel, Entwässerungspräparate, Appetitzügler oder auch andere Medikamente. Männer lehnen vor allem Nahrungsmittel ab, die ihrer Meinung nach den Aufbau von Muskeln behindern könnten“, erklärt Prof. Voderholzer. „Zudem betreiben Männer vor allem Kraftsport, um Muskelmasse aufzubauen und ihr Körperfett zu reduzieren. Sie vernachlässigen zunehmend ihr Berufs- und Privatleben, um mehr Zeit in das körperliche Training investieren zu können. Um muskulöser zu wirken, werden oftmals mehrere Kleidungsstücke übereinander getragen und Betroffene meiden Situationen, in denen Andere sie unbekleidet sehen können.“ Ein Teil der betroffenen Männer greift zu Anabolika, um dem Muskelwachstum nachzuhelfen. Einseitige Ernährung, Nebenwirkungen der Anabolika aber auch Verletzungen und Entzündungen durch übermäßiges Trainieren schaden der Gesundheit. Dieses zwanghafte Verlangen, den eigenen Körper perfekt zu formen, wird auch als Muskeldysmorphie, Muskelsucht oder „Adonis-Komplex“ bezeichnet und ist im Bereich einer körperdysmorphen Störung (Missgestaltungsfurcht) und einer Essstörung anzusiedeln.
Essstörungen werden bei Männern oft spät erkannt
Essstörungen verlaufen bei Männern ähnlich krankhaft wie bei Frauen. Sie werden jedoch oft länger übersehen und erst später diagnostiziert, weil sie typischerweise eher Frauen zugerechnet werden. „Unzufriedenheit über die Ausprägung des eigenen Körpers und der Muskulatur sind schambesetzte Themen bei jungen Männern. Diese Scham hindert Betroffene oftmals daran, sich eine krankhafte Entwicklung einzugestehen, über ihre Probleme zu sprechen und professionelle Hilfe aufzusuchen“, meint Prof. Dr. Ulrich Voderholzer, Chefarzt der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee. „Die Kombination aus Muskel- und Magersucht wird jedoch schnell zum Teufelskreis, aus dem Betroffene ohne professionelle Hilfe nicht herauskommen. Ein möglichst frühzeitiger Therapiebeginn verbessert die Behandlungsaussichten und verringert das Risiko für gravierende gesundheitliche Schäden.“ Begonnen werden sollte eine ambulante oder stationäre Therapie möglichst schon im Anfangsstadium der Erkrankung. Das komplexe Zusammenspiel zwischen körperlichen und psychischen Symptomen erfordert ein vielschichtiges Behandlungskonzept mit fachübergreifender Betreuung.
Nach der repräsentativen Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) leiden 1,5 % der Frauen und 0,5 % der Männer unter Essstörungen. Insbesondere bei Männern dürfte die Dunkelziffer deutlich höher liegen.
(äin-red) Der Abdruck dieser Pressemeldung oder von Teilen des Artikels ist unter folgender Quellenangabe möglich: www.psychiater-im-netz.org. Bei Veröffentlichung in Online-Medien muss die Quellenangabe auf diese Startseite oder auf eine Unterseite des Patientenportals verlinken. Fotos und Abbildungen dürfen grundsätzlich nicht übernommen werden.