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Internetabhängigkeit geht oft mit weiteren psychischen Störungen einher

Das Internet bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, aversive emotionale Zustände zu reduzieren und positive emotionale Erfahrungen herbeizuführen oder auch wahrgenommene Einsamkeit zu reduzieren. Oft sind es diese Beweggründe, weswegen bestimmte Menschen ein ausgeprägtes Nutzungsverlangen verspüren und sich die Computer- oder Internetverwendung verselbstständigen.

Der überwiegende Anteil der Bevölkerung nutzt das Internet sowohl zu beruflichen als auch privaten Zwecken. Dabei handelt es sich um ein praktisches, oft notwendiges, bisweilen angenehmes, unterhaltendes und sozial übliches Verhalten. Bis zu 2 Prozent der Menschen entwickeln jedoch eine Internet- oder Computerabhängigkeit, die mit Kontrollverlust und einer erheblichen Einschränkung der Lebensführung einhergeht. In vielen Fällen bestehen neben dieser Verhaltenssucht gleichzeitig weitere psychische Störungen oder Probleme, die Folge aber auch Ursache der Internetabhängigkeit sein können.

„Wer vom Internet oder Computerspielen abhängig ist, leidet häufig gleichzeitig auch unter Depressionen, sozialer Unsicherheit und Ängsten oder Störungen der Aufmerksamkeit und der Aktivität“, berichtet Prof. Dr. Falk Kiefer von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin. „Das Internet bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, aversive emotionale Zustände zu reduzieren und positive emotionale Erfahrungen herbeizuführen oder auch wahrgenommene Einsamkeit zu reduzieren. Oft sind es diese Beweggründe, weswegen bestimmte Menschen ein ausgeprägtes Nutzungsverlangen verspüren und sich die Computer- oder Internetverwendung verselbstständigen. Die Beschäftigung mit Internetangeboten oder Computerspielen dient Betroffenen vielmehr der Regulation von Gemütszuständen oder ist Folge von unkontrollierbaren Impulsen und ähnelt damit den Kriterien für eine Alkohol- oder Drogensucht.“ Manche Betroffene geben sich suchthaft Computerspielen hin, andere sind übermäßig mit sozialen Internet-Aktivitäten wie Surfen oder Chatten beschäftigt. Sozial ängstliche Menschen «verfallen» oft der Nutzung des Internets, um selbst wahrgenommene soziale Defizite zu reduzieren. Sie schließen Online-Freundschaften, um Gefühle von Einsamkeit und Niedergeschlagenheit zu lindern und um Stress zu reduzieren. Der Verbindung zwischen Aufmerksamkeitsstörungen und Internetabhängigkeit steht nicht selten mit der Unfähigkeit, Langeweile ertragen zu können und längere Zeit keine Belohnung zu erleben in Verbindung. Eine Verhaltenssucht kann sich auch auf pornografische Inhalte beziehen.

Vernachlässigung, soziale Probleme und Entzugssymptome

Als Kennzeichen einer Abhängigkeit gelten Kontrollverlust und eine Verselbstständigung des Verhaltens. Das bedeutet, dass ein zunächst zweckmäßiges Verhalten fortgesetzt wird, obwohl es nicht länger notwendig ist – ähnlich einer «Dosissteigerung». Auch Entzugsbeschwerden wie etwa innere Unruhe bei fehlender Möglichkeit zur Computer- oder Internetnutzung sind Kriterien für eine Anhängigkeit. „Eine Sucht erkennt man vor allem auch daran, dass es zur Fortsetzung des Verhaltens trotz negativer Konsequenzen wie sozialen Problemen am Arbeitsplatz, der Familie oder in der Partnerschaft kommt. Daneben deuten auch eine Vernachlässigung anderer Lebensbereiche zugunsten der Internetsucht, ein Leistungsabfall in der Ausbildung oder dem Beruf sowie eine Vernachlässigung der Körperpflege hin“, illustriert Prof. Kiefer. In vielen Fällen sind es negative Auswirkungen dieser Art, die bei den Betroffenen und/oder ihren Angehörigen zu einem Leidensdruck und bestenfalls in eine professionelle Behandlung führen. Verhaltenssüchte sind meist chronische Erkrankungen, die selbst nach einer erfolgreichen Abstinenzphase erneut auftreten und zu einem Rückfall führen können.

Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten frühzeitig nutzen

Bei der Abklärung von Internet- und Computerspielsucht ist es daher wichtig, dass auch mögliche psychische Begleiterkrankungen entdeckt und gegebenenfalls behandelt werden. „Ein zentraler Aspekt in der Therapie ist die Identifikation von Gedanken, Gefühlen und Situationen, die bei Betroffenen das Nutzungsverlangen auslösen“, meint der Experte. „Personen, die an einer Computer- oder Internetabhängigkeit erkranken, haben oft Probleme, ihre eigenen Gedanken und Gefühle zu erkennen. Diese Problematik kann sowohl Ursache als auch Folge des Suchtverhaltens sein.“ Beratungsstellen können als erste Anlaufstellen dabei helfen, Betroffene in ihrer Veränderungs- und Therapiemotivation zu stärken. Diese Einrichtungen können dann gegebenenfalls zu weiterführenden Behandlungsangeboten vermitteln.

Quellen:

  • Dr. Dipl.-Psych. Klaus Wölfling, Michael Dreier, Kai W. Müller, Manfred E. Beutel; Internetsucht und „internetbezogene Störungen“ - Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten; Psychotherapeut > Ausgabe 5/2017
  • Dipl. Psych. Dr. Christian Laier, Prof. Dr. Matthias Brand; Abhängigkeitserkrankungen - Aktuelle Befunde und Zukunftsperspektiven der Internetsucht; NeuroTransmitter 11/2014

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